Eibensang

Das Ende der Welt…

…hab ich gesehen: Brigh führte mich dort hin. Und dann … darüber hinaus. Am Ende der Erde leuchten die Hügel gelb, sie tragen Ginsterfrisuren, Ginsterboas, Ginsterschmuck – und sonst fast nichts auf den schönen braunen Leibern. Da, wo die Erde aufhört, schicken die Großen ihre weißen Rösser aus dem All, die kommen aus den Tiefen und galoppieren erdwärts dem Rand entgegen; sprühend, schnaubend und spritzend brechen sie auf den Sand. Sie bringen tote Boten mit von unwirklicher Schönheit: Panzer und Schalen der kleinen Heere jenseits der Erde, viele sind es, und noch im Tode schnattern und flüstern sie unentwegt miteinander. Weit verstreut liegen ihre Gebeine einfach so da: wo die Erde aufhört. Das darf nicht jeder sehen, schon gar nicht aus der Luft: Deshalb beschützen weiße Riesinnen das Ganze; den Himmel packen sie in Watte, die gerne auch weint. Und dazu singt der Wind.

Es leben Menschen dort am Rand: eher klein und ein bisschen hutzelig. In Sachen Schönheit lassen sie meist der Umgebung den Vortritt. Aber guten Kaffee pressen sie in kleine Tässchen, und ihre „Bocadillos“, gewaltige Sandwiches voller Köstlichkeiten, lassen sie zu meiner großen Freude grundsätzlich unverkleistert von Butter, Majo oder ähnlichem Geschmier. Bier reichen sie auch, in dicken kleinen Gläsern stellen sie es abends neben die aufgebahrten Meeresbewohner. Diese haben oft viele Arme und sind ungeheuer schmackhaft, manche tragen knusprige Kleider, manche kommen nackt, und ihre Leiber glänzen von heißem Öl. Man reißt Brot dazu, sonst eigentlich nichts.

Die Menschen am Ende der Welt pflegen einen seltsamen Glauben, es ist der altbekannte von Prometheus, nur dass er dort nicht an einen Felsen geschmiedet, sondern auf ein Holzkreuz genagelt dargestellt wird. Noch verbreiteter ist aber der Kult um eine Muttergöttin – eine einzige, die darum auch „Muttergottes“ heißt: Ihretwegen sperren die Leute zu merkwürdigen Zeiten die Läden zu und gehen geheimnisvollen Riten nach. Es scheint ein strenger Glaube zu sein, denn nicht nur die Menschen, auch das Getreide muss dran glauben. Nirgendwo anders sah ich, dass Menschen ihrem Getreide Kirchen errichten, wo auch nur Korn hineindarf. Die Mäuse und Ratten sind von diesem Gottesdienst ausgeschlossen; die Kirchlein fürs Korn stehen extra auf sechs oder acht Steinstelzen, damit die Kleinen nicht hineinkommen. Für sich selber haben die Menschen wieder eigene Tempel, die dann aber derart gewaltig und riesengroß ausfallen können, dass man sich selber darin wie ein Getreidekörnchen vorkommt oder eine verbotene Maus.

Um den allergrößten Tempel im Land stehen viele viele Läden herum (möglicherweise auch ein paar mehr), in denen Hexen verkauft werden – aber es ist kein Sklavenmarkt, es sind nur Figuren von alten Frauen auf Besen, und manche sehen sehr lustig aus. Allerorten werden Anhänger, Tassen und Teller mit der Triskele und keltischen Knotenmustern darauf feilgeboten, sogar Runen fanden sich vereinzelt. Doch ob keltische Vielfalt oder germanische Sprengsel: Nach einer Statue des Donnerers sucht man vergebens, und von den zahllosen Votivtafeln zeigt keine einzige Thors Fischzug oder den Raub des Skaldenmets, von Freyjas Orgie mit den vier Zwergen ganz zu schweigen. Fast meint man, dass die Leute dort von diesen Geschichten gar nichts wüssten. Sie lassen lieber das Getreide zu ihrer verkleideten Muttergöttin beten – die man überall abgebildet findet, aber immer bis zum Hals in lange Gewänder gehüllt – meistens ist sogar der Kopf bedeckt, so dass man nichtmal ihr Haar sieht.

Aber es wäre ja auch naiv zu erwarten, dass am Ende der Welt alles ganz genau so wäre wie anderswo. Natürlich endet dort nicht nur die Erde, sondern auch manche physikalischen Gesetze finden sich in bildschöner Auflösung oder stehen im Begriff, das zu tun. So verschieben sich heimlich ganze Ortschaften, vermutlich nachts, und wechseln sogar die Namen. Am andern Tag stimmt dann die Landkarte nicht mehr. Trotzdem führt seit dem Hochmittelalter ein Wanderpfad durchs Land, der bis heute in Betrieb sein soll. Und auf den letzten Metern dieses sog. „Jakobsweges“ (Jakob war ein Muttergöttin-Prophet, den man nach einer Muschel benannte) fand sich am Wegrand tatsächlich doch noch eine einsame Odinsstatue: Schlapphut, Wanderstab, langer Mantel – alles stimmte, nur dass der Schlapphut eine Muschel trug… wahrscheinlich ein Geschenk des Alten Wanderers an Ran, die dunkle Herrin der Tiefe – denn das Meer ist dort, wo die Erde aufhört, nur noch einen Steinwurf entfernt.

Wir warfen nicht mit Steinen, nur mit Blicken: Die schweiften auf die unendliche Weite des Alls hinaus, auf die blaue Ewigkeit (unten wie oben) und den fernen Horizont, der mit einem riesigen Ginsterball erleuchtet war, und wir sagten Oh!, denn wir fühlten, dass es sich bei dem Ball um eine Erscheinungsform der großen Mardøll persönlich handeln könnte. Sie trug kein Kleid, sie war nackt, und hinter unserem Rücken waren zwei Delphine über diesen Anblick versteinert – wahrscheinlich schon vor Zeiten, als es das Land noch nicht gab.
„Oh!“ sagen ist eine heilige Handlung (das wusste schon Robinson Crusoes „Freitag“), der Mund ist dann korrekt gespitzt für die Aufnahme roten Weins aus der Flasche. Am Ende der Welt gibt es wenig Unterschiede zwischen Ribeiro und Skaldenmet, das eine wirkt wie das andere und setzt frei, was innen schlummert.

Wenn man das Ende der Welt erreicht, hat man von zahllosen Möglichkeiten zwei extreme: Entweder man bleibt dort stehen, oder man geht weiter. Dort zu bleiben hat die Konsequenz immerwährenden Ohs – aber vielleicht versteinert man auch – wer wollte das so genau sagen? So entschieden wir uns, nachdem wir die Herzen austauschten, tapfer zu sein – und weiterzugehen. Wer am Ende der Welt weiterwandert, geht darüber hinaus. Über alles Bekannte, Vertraute, Gehabte… Das muss man alles zurücklassen.

Und daher kann ich jetzt nichts weiter schildern, denn der Rest meiner Geschichte ist ungewiss. Ich weiß nicht, was passieren wird, und niemand kann mir sagen, wie es weitergehen wird – denn ich habe von den angebotenen Runen zum Beispiel keine gekauft, also habe ich nichtmal ein verlässliches Orakel. Die Runen aber, die ich in mir trage, sagen, dass man gar keins braucht. Selbst wenn ungewiss bleibt, was einen erwartet. So sind die Großen: Sie überraschen ihre Schützlinge gern, und womöglich wird das ganze Leben zu einer beständigen Überraschung. Man muss aber staunen können… das ist eine wichtige Voraussetzung. So wird aus dem Ende wieder ein Anfang. Mit dem Urknall war das ganz ähnlich. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine von vielen erstaunlichen.

2 Reaktionen zu “Das Ende der Welt…”

  1. Dee

    Danke für’s Dabeisein dürfen 😉
    Zusammen mit Brigh’s Bericht fällt das nicht schwer…

    Grüßlis

  2. MartinM

    Schön. Surreal. Phantastisch. Und dabei treffend.
    Weiß Du was, Duke, ich bin einfach nicht imstande, so etwas wie „Das Ende der Welt“ zu schreiben.

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