Eibensang

Blut, Schweiß und Tränen

Als Märzgeborener bin ich – wie man in Österreich sagt -ein „Gatsch-Kind“: Schlammwühlerchen auf gut deutsch, Matschpatscherle. Da ist was dran: Die schattenlos ausgeleuchteten Zimmer meiner Kindheit waren derart antiseptisch saubergeschrubbt, dass Schmutz beinahe jeder Art schon früh eine verheißungsvolle, ja geradezu heilsbringerische Wirkung für mich bekam. Nachdem ich mir meine Kinderfinger alltäglich 10 vor 12 zu waschen hatte – denn um 12 gab’s Mittagessen: nicht fünf vor oder zwei nach, sondern Punkt! – geriet es für mich geradezu zur prä-initiatorischen Erfahrung, festzustellen, dass die bösen Bakterien mich durchaus nicht umbrachten, wenn ich sie mal nicht so akribisch abwusch wie mein Clean Boss, meine Mama, immer anmahnte. Und nachdem ich mir als werdender Erwachsener viel zu viele einsame Male heimlich das eigene Sperma von den Schmierfingern geschleckt hatte, tauchte ich, sobald es ging, mich umso tiefer ein in das Mondblut der Frauen, die mich nah genug an sich heranließen. Gemessen an heutigen Prüderien, darf man den Ausklang meiner Jugend ja schon als regelrecht orgiastisch bezeichnen… Heilig waren mir diese „Körpersäfte“ jedenfalls schon Jahrzehnte bevor ich die merkwürdigen Paarungsregeln und -Tabus meiner Kulturhemisphäre auch nur mit dem Verstand einigermaßen nachvollzog. Mit dem Gefühl ist mir das eh nie gelungen: Euer moralischer Verachtungskanon, werte Geschlechtskollegen & Dulderinnen, ist mir bis heute fremd geblieben. Und so wird es bleiben, so lange ich atme, weine, lache und spritze. Und werte! Auf meine eigene, dem Außenseiter gemäße Art.

Blut, Schweiß und Tränen – das Trio muss kein militärisches sein. Jeder gute Popsong hat es inne, beim Machen zumindest – und aus den Augen kann es auch rinnen vor Lachen. Ich bin ein Gatsch-Kind, ein Fahnenträger der Leidenschaft. Ich habe mehr Empathie als Moneten, und manchmal bringt mich das halb um. Aber ich stelle mir immer vor, dass die Großen – wie ich die Götter nenne – letztlich von unseren Gefühlen leben: sich von ihnen ernähren. Ich will ihnen ein guter Diener sein. Das Schicksal schert sich nicht um unsere Gefühle? Ich glaube, ohne sie gäbe es – hätten wir – gar keins. Beweist mir das Gegenteil!

Ich saß kürzlich bei Wissenschaftlern zu Gast, aß ihr Brot, trank ihren Wein. Wir sprachen über die Dunkle Materie, Dunkle Energie – und, etwas weniger ergiebig, über Kobolde auch. Es gelang mir nicht, die notwendigen Brücken zu schlagen: von der Welt der Rationalität hinüber zu jener der Magie – nichtmal im Gespräch. Unter Heiden geht mir das oft auch so: aus umgekehrter Richtung, aber mit vergleichbarer Ergebnislosigkeit. Und so nippe ich an meinem Glas oder Horn und spüre: Es ist alles nur eitel – niemand will die Enge des eigenen Horizonts aufgebrochen kriegen… Es könnte ja Sonne hineinstrahlen. Von der wir alle leben, unter der wir alle sind, und einzig sind – in jeder Bedeutung des Satzes.

Ich habe es anders gemacht. Ich ließ – obzwar nur zögernd anfangs und mit Rückfällen, aber doch – Sonne in meine enge Welt. Mehrere Frauen, manches Jahr und etliche Peinlichkeiten waren nötig – aber am Ende drehte ich mich: ohne an Identität zu verlieren. As Mother Earth does! Denn sie dreht sich noch. Ich wasche mich, ich dusche mich, und putze mir sogar die halbwracken Zähne. Ich nicht nur geborenes, sondern auch gelerntes Gatsch-Kind. Und so erfuhr ich diesen schmalen, aber tiefen Grat zwischen Können und Müssen: auf der einen Seite liegen die Wiesen der – zugegeben gefahrvollen – Freiheit. Auf der andern nur die bequemen, aber ausweglosen Abgründe jeglicher Sucht. Zwangsverhalten ist, wenn du gegen deinen eigenen Willen etwas tust oder unterlässt. Von jemandem anderen zu etwas gezwungen zu werden, ist die einfachere Variante davon. Denn sie hat einen Gegner, der außen verortbar ist.

Der eigene Wille ist, wie auch ich meine, eine interessante – womöglich sogar intelligente – Illusion. So hänge ich meinen an die Träume, den allnächtlichen Sumpf oder – Gatsch. Zutiefst überzeugt bin ich davon, dass ich dieserart jeden Morgen neu geboren werde. Auch wenn ich mich der Träume nicht immer erinnere – sie bestimmen mein Handeln, meine Entscheidungen. Solange ich mich daran – wenigstens – zu erinnern verstehe, dass meine Ängste lauter Müll, meine Pläne eitler Blödsinn, meine Freunde aber wirkliche Menschen sind. Schreiend werden wir geboren, im Matsch wühlen wir, und was immer wir daraus erschaffen: Der Krokus, der die Schneedecke bricht und den Frühling kündet -der ist nicht unser Werk. Den dürfen wir bewundern – uneingeschränkt. Denn seiner Welt sind wir geboren. Dem Blühen und Gedeihen. Wir dürfen dran teilhaben. Wenn wir uns gut betragen: als Gäste. Wenn wir einander erkennen: dann sogar als Hüter. Doch das bedarf der Liebe. Sie kommt nicht von oben. Wir selbst stellen sie her. Wenn wir es nicht tun – nobody does. Meine Götter lieben nicht. Sie erwarten von uns, dass wir das tun für sie. Aber wer könnte ihrer Schöpfung widerstehen? Ist sie nicht liebenswert? Wir müssen das lernen, Leute. Es ist unsere einzige Hoffnung. Und unser aller Rettung.

Als ich geboren wurde, lag noch Schnee. Aber er hatte seine große Zeit hinter sich. Auch Großdeutschland war geschmolzen. Es war März, und der Kalte Krieg brach an. Das Wirtschaftswunder vergiftete die Flüsse und sorgte für ein geregeltes Leben, Freizeit brach aus. Es war nur Schlamm. Ich bin ein Gatsch-Kind, und will immer noch etwas erschaffen.

2 Reaktionen zu “Blut, Schweiß und Tränen”

  1. Eideen

    Hi Duke,

    sehr kraftvolle schöne, und wahre Worte…danke
    für deine Transparenz und Anfassbarkeit, mit der du hier rüberkommst.
    Bin ja ganz baff, eine liebe Freundin hat dich zu mir verlinkt…die Welt ist klein.

    Herzgruss Eideen

  2. Emma

    Lieber Eibensang, hier wollte ich finden, wann du ein runenworkshop hältst. plötzlich musste ich an die alte orangutanfrau in schönbrunn denken, die immer mit ihrer scheiße spielt, sie gelegentlich auch kostet, während zuschauer vor dem glas stehen. die erzwungene mitwisserschaft nötigte mir tränen ab. einige tage war ich ratlos, zumal auch mein besonderer junger nussbaum von einem ignoranten gärtner des magistrats umgesägt worden war, im 7.jahr, noch bevor er je blühen hatte können. Aber jetzt kann ich dir das tröstende wort sagen, mit milarepa: der dreck ist nicht draußen, sondern drinnen. der körper ist ein stinkender sack voll unrat. scham ist angezeigt. herrlich muss es in island sein.

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