Eibensang

Betreff: morgen nacht


Aus dem Soloalbum Die neue Loreley (2005)

Überraschung – hallo du
Ich wollt‘ mich nur mal eben melden
Aus dem Land der losen Sehnsüchte
Und ihrer vogelfreien Helden

Auf deine letzte Mail konnt‘ ich nicht zeitig reagieren
Ist auch schon zu lang her –
Ich hatt‘ was anderes zu verlieren

Bei mir ist viel passiert
Zu kompliziert hier zu erzählen
Vielleicht nicht wirklich wichtig
Gleich jedes Heimspiel zu erwähnen
Nur soviel: Ich hab die Zahl
Meiner derzeitigen Affären
Radikal reduziert: von neun auf acht
Kurz gesagt: Was machst du heut‘
Oder morgen nacht?

Ja – meine Aufnahmen gehn gut
Weiß nur nicht, wer’s kauft
Und die geschäftliche Lage –
Ach, hör mir auf
Die Welt geht unter
Munter bin ich nach wie vor
Mit Träumereien auf den Lippen:
An deinem Ohr

Ja, schön: Mich Licht hat zwischenzeitlich
Manche Motte eingefangen
Nicht jede war brennbar
Zumal nicht für mich
Doch du, grad du, bist mir
Nicht mehr aus dem Sinn gegangen
Nein, trotz allem nicht – nein, nicht wirklich
Da ist noch immer ein Verlangen:
Du und ich

Sülz, sülz, schnäbel-schnäbel, lechz und ach
Was machst du… sag mir, was machst du…
Heut‘ oder morgen nacht…?

Sag – ist das immer noch so
Daß dein Mann kaum mit dir spricht
Obwohl man meinen möcht‘, grad er könnt’s –
Warum tut er’s nicht?
Wir beide haben die Frage längst im Stillen beantwortet:
Der weiß dich nicht zu schätzen –
(Was er verantwortet)
In diese Kerbe schlag ich herb und süß
Und wälze mich in den Untiefen deiner Seele
Ja, ich verstehe dich
Und darauf stehst du wie verrückt
Und ich darauf, daß ich dich entzück‘
Immer wieder…
Meine Lieder singen all‘ dasselbe Stück…

Was machst du… sag mir, was machst du…
Heut‘ oder morgen nacht…?

Apropos Leidenschaft und Glück:
Ich hab seit neuestem eine Neue
Neue Scheibe, mein‘ ich
Über die, weil doch gelungen, ich mich freue
Stück für Stück selbst produziert und auch gebrannt
Eingetütet und, so hoff‘ ich, mit der richtigen Adresse
Eingeworfen beim Postamt:
Ich hab dir die CD geschickt
Brenn dir davon eine Raubkopie
Und reich sie weiter gleich an die
Entzückenden Kolleginnen – sag ihnen
Eibensang kommt, sie alle zu beglückingen
Oh, Verzeihung: ein Freud’scher
Ich mein‘ natürlich nur: ihre Sinne zu betören
Mit der männlichen Natur

Jou – lausiger Reim
Aber lass gut sein, wenn er wirkt
Lieder leben – nur ihr Kritiker stirbt

Womit wir gleich beim Thema wären
Mir reicht es längst mit den Affären
Die fangen an, hören nimmer auf
Und nervlich zahl ich immer drauf
Was hab ich davon, wenn sich wegen mir
Ständig sonstwer die Haare rauft?
Da verkriech ich mich doch lieber in mein Studio-Eck
Träum‘ bisschen rum und produzier
Ein Obsessions-Projekt nach dem anderen

Und wo die Finger nachts hinwandern
Überlassen wir der Phantasie
Oder einer schönen Anderen

Die Musik-Industrie, jedenphalls, kann die –
Fuck that Schmalz aus vollem Hals! –
Von mir aus gern geräuschvoll untergehn
Mit ihren vorgestanzten Songs
Gesungen von geklonten Feen

In den Clubs, die’s noch gibt
Da wird die Musik gespielt, die wirklich zählt
Weil sie die echten Träume wiedergibt
Ich spiel vor zwölfen, zwanzig oder fünfzig
Bin selber fünfundvierzig – aber doppelt so brünftig
Wie jeder halb so alte Junge
Meine Raucherlunge hat schon gerappt
Als die noch in den Windeln lagen:
1984 – da war deutschsprachiger HipHop für mich
Angesagt – nee: da schon abgefahren

Seitdem…, seit all den Jahren
Ist denen doch nix, gar nix mehr eingefallen
Als mit neuen Geräten zum ewig selben
Zitter-tatter-knitter-knatter-blubber-plapper-
Schlitter-schnatter-bimmel-bammel-
Bommelmützen-Beat zu lallen

Weswegen ich schon lang inzwischen umgestiegen bin
Auf die akustische Gitarre: Das ist jetzt mein Ding
Die klingt, die singt, notfalls ohne Strom
Die bringt mich in die Gefilde, wo der Funke wohnt
Den reich ich weiter an dich
Entzünde dein Licht
Ich bin Die Zunge Die Tanzt
Erleuchte mich
Mit dem Schein deiner Augen
Deiner Aufmerksamkeit
Dann mach ich dir den Wilden bis ans Ende aller Zeit

Lass dich träumen, aufbäumen, auch Stoß um Stoß
In den Wäldern unserer Tiefen
Wo die Elfen so lang schliefen
Tönt ein neuer Sang, und geh’n die Tiere los
Unter geschuppten Drachenflügeln
Sind die Gäule nicht zu zügeln
Und die Schlange will ins feuchte Moos
Die große Schlange muss ins feuchte Moos

Sülz, sülz, schnäbel-schnäbel, lechz und ach
Was machst du… sag mir, was machst du…
Was machst du heut‘ oder morgen nacht…?

Kapierst du, was ich meine?
Was mir der Tanz bedeutet?
Viel mehr als Freude!
Nur Sex?
Dieser Drecks-Kommentar zuvieler Leute
Schmäht meine Götter!
Mein Heiligtum heute – und nicht erst seit gestern –
Ist der Moment der Ekstase
Deren Diener ich bleibe
Und ich ehre die Schwestern, mit denen ich’s treibe
Die mich, ja mich, als ihren Wonnebringer wählen –
Auch leiblich, nicht nur geistig –
Dass einen guten Bock keine Geiß reizt ohne Geist:
Ich weiß, auch das muss ich hier noch extra erwähnen

Spar dir die Tränen, schönen Gruß ans Krokodil
Mir geht’s gut – was gibt’s sonst zu erwähnen?
Nicht viel, möcht‘ man meinen
Außer, dass wir alle weinen: um die Wirtschaft
Übern Terror, und natürlich den Verdruss
Unserer aller Euroschein Verschwindibus

Was machst du…? Mach…!

Gähn-gähn – und was bleibt unerwähnt? Fast nichts:

Das Fernsehen hat die Leute gut gezähmt.
Die nächtlichen Gassen –
Und auch so manche Datenstraßen –
Sind in erschreckendem Maß jungen Verlierern überlassen:
So scheißebraun inwendig, dass sie Braunhäutige hassen
Gefährlich süßlich, auch verhohlen
Prasseln ihre gemein-, nein: schein-germanischen Parolen
Neuerdings, die sie nichtsdestotrotz und nachwievor
Aus Unmenschs Mottenkiste holen
Mit ihren nachplappernden Schnäbeln
Man sieht die Scheiße förmlich
Aus den Schädeln herausquellen
Wenn sie quasseln von „Rassen“
Als wären Menschen Hunde
Ja: Bellen tun sie schon in Massen.

Was ihren Dreck nicht heller macht.
Doch eins, nur eins sei hier und jetzt
Heut‘ noch gesagt:
Germanisch ist nicht, und nie gewesen
Was Nazis Vor- und Nachbeter
Ihre Reichsverweser und –
Selber Volksverräter! – dachten.
Germanisch ist Gastrecht
Nicht etwa: Gäste schlachten

Und wer und was „zum Stamm“ gehört
Ist keine Frage eines Blutes –
Das überall rot war, ist und bleibt – sondern:
Die kreative Mischung kulturellen Gutes
Und was man miteinander treibt!
Was die Goten schon wussten und taten
Doch von denen wisst ihr nix, ihr Schwachmaten!

Germanisch ist keine Monokultur
Und war auch noch nie irgendein
Scheiß-„Reinrassen“-Rassisten-Gewichs
Sondern Mix: verschiedener Völker und Kulturen,
Versteht ihr: Mix! Gemisch! Melange!
Komposition möcht‘ ich’s fast nennen:
Der Zutaten sind viele
Und sie lassen sich nicht trennen.

Das erst macht Kultur.
Bei Wotans Brausen!
Einfluss gehört dazu – gerade der von außen!
Wenn dir Kopftücher Angst machen,
Bleib du doch draußen!
Oder sing mir wirklich was Deutsches:
Schonmal von Humboldt gehört oder Kant?
Was je deutsch war, ist euch doch unbekannt geblieben!
Euch hat schon Goethe nicht gestört, ihr tumben Säcke
Ich zitier gleich nach Belieben
Aus euch zu hoher Anspielungs-Ecke
Johann Wolfgangs „Götz von Berlichingen“
Oder reime platt auf Schiller:
Brecht ihr mir erstmal ’n Bertolt
Oder blast mir auf’m Arsch ’n Triller.

Wobei Germanen sowieso mit Deutschem
Nix zu schaffen haben:
Da waren Jahrhunderte dazwischen –
Ach, leckt mich alle mal am Abend.

Entschuldige, Süße
Hab mich grad echauffiert im Zoff
Schwiff ab – oder sagt man „schwoff“?
Na, mal gucken, was der gute alte Duden dazu sagt
Und wenn ich den jetzt grad nicht find‘
Ist vielleicht morgen noch ein Tag
Ja, der Tag – er neigt sich
Draußen dämmert’s – ach
Sag mal: Was machst du eigentlich heut‘
Oder morgen nacht?

Was machst du… sag mir, was machst du…
Was machst du heut‘ … oder morgen nacht…?

Wir könnten uns doch treffen
Ich mein‘ ja nur so – als Idee
In den Raum gestellt, und die Zeit – okay
Ich hab jetzt ziemlich gesoßt
Wird dir das zuviel?
Ich soß dich zu gern voll
Nicht nur im Spiel

Meine Obsession
Beschränkt sich weißgott nicht auf Scheiben
Obwohl ich Wert darauf lege
Die möglichst weithin zu vertreiben
Du weißt, ich wohn in einem Kaff
Da ist der Hund verreckt
Doch die Miete billig
Und mein Bäcker wohnt ums Eck

Ich war in Wien, Berlin, im Ruhrpott und woanders
Und obwohl ich ein urbaner Typ bin
Sind mir samt und sonders
Die Bedingungen dort ziemlich
Auf den Arsch gegangen
Und der schnell auf Grundeis
Ich bin gern gegangen
Nirgends wirklich gelandet
Durchaus oft gescheitert
Aber nie versandet
In der Provinz, die – wo ist’s anders? –
Ihre Künstler nicht erhört
Wird man – ich seh’s als Vorteil –
Auch von kaum jemand gestört

Solang mein Rechner läuft
Und noch ein paar Mädels mailen –
Scheiße – darauf reimt sich nichts:
Sailen? Railen? Gailen?
Alien!
Ja, fremd bin ich geblieben – überall
Wie ein Tourist
Dem der Bus grad vor der Nase weggefahren ist.

Was bleibt übrig?
Alles, sag ich – und es brennt
Bis ins Mark
Und ich verwett‘ mein letztes Hemd
Dass die gute Stute einen Hengst erkennt
Dessen Huftritt sich gegen die Bretter stemmt
Bis der Stall aufbricht –
Ja, so komm ich –
Bis sich der freie Mond ergießt über die Mähne
Und die knattert im Wind
Und die Fontäne meiner Träume:
Sie erreicht dich, Kind
Wildes Weib – deine Seele, deinen Leib
Bis er tollt über die Wiese
Und man ist bereit
Sich zu kennen
Sich zu nennen
Gegenseitig zu erkennen
Ohne jede Scham
Nackt unterm jungen Mond zu rennen
Bis der Wecker schellt, sprich:
Bis zum Anbeginn der Zeit.

Meine Lieder
Immer wieder
Weißt schon:
Bin für dich bereit.

Gruß und Kuss
Der (nicht nur eine, aber) deine
Wenn’s sein darf
Aber nicht muss
Und Schluss.

Musik & Text © Duke Meyer 2004

CD „Die neue Loreley“ (Jan. 2005)

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