Eibensang

Am offenen Herzen

„Für Zeiten wie diese… singen wir Lieder: damit sie nicht bleiben, so wie sie jetzt sind.“

Wenige Zeilen Karans haben mich so getroffen wie diese – und mich trafen einige. Komplimente unter Kolleginnen? Gibt’s auch – aber nicht in dieser Kolumne. Was heißt überhaupt „Kollegen“ -sind die Singvøgel ein Betrieb? Ja, wir betreiben etwas. Und zwar aus ganzem Herzen. Romantisch? Götterverdammtnochmal: Was zum Donner soll an Blut „romantisch“ sein? Wie ein Chirurg operiere ich am offenen Herzen -nur nicht mit dem Messer, sondern mit der Zunge. Die vermutlich das schärfere Instrument ist. Wie immer geht es ums Ganze. Um Leben und Tod. Im Kleinen wie im Großen. Innen wie außen. Unten wie oben. Vielleicht bin ich ja doch ein Heiler. Wenngleich ein überaus lausiger. Ein wahrhaft „blutiger Anfänger“! Noch vor wenigen Jahren nannte ich mich einen „Gastarbeiter auf dem Kriegerpfad“. Womit ich meinte, dass ich – trotz mangelnder Ahnung, dürftiger Fertigkeiten und überschaubarem Mut – meinte und meine, als „Krieger“ agieren zu müssen: nicht, weil mir das angeboren sei, sondern weil es schlicht erforderlich war und ist – und nach wie vor kein Ersatzmann in Sicht. (Auch das kommentierten die Singvøgel in einem Song, oder zweien oder dreien. Wir kommentieren fast alles. Wir sind die Journalisten der unterdrücktesten Mehrheit der Welt: aller immer noch phantasierenden Menschen. Und ich rede nicht vom Fieber.)

Die Kämpfe dauern an, bevor noch der Krieg überhaupt begonnen hat. Oder sind wir schon mittendrin? Nicht egal. Aber hinzu kommt was: Heilen soll ich jetzt. Auch. Sagt das Blut an meinen Händen – das nicht nur das eigene ist. Obschon mit meinem vermischt. Operieren am Offenen. Ohne Ersatz – kennen wir ja schon. Es gibt ein paar Dinge, die ich hasse am Leben. Zum Beispiel all die Aspekte, die es von einem Theaterstück unterscheiden. Wo ich das Drehbuch kenne. Meine Rolle üben kann. Regieanweisungen kriege… und hinterher Applaus, womöglich sogar Gage. Tja. Es gibt ein paar Sachen, die waren noch nie… in Ordnung: und jetzt reparieren wir die. Sing ich – so weit, so frech – in einem neuen Singvøgel-Song. Etwas ist neu dran – außer, dass ich keinen böseren deutschsprachigen Song kenne, der gleichzeitig so fröhlich klingt. Ich übernehme die Verantwortung. Nicht für das verdammte Lied – das wurde mir geschenkt, von ganz oben, wie alle anderen auch. Ich meine: für die meinen. Meine Leute. Die mir beistanden. Jetzt bin ich dran: für sie. Fast fürchte ich, meine Pubertät ist zuende. Dabei bin ich erst 52! Wo sind die Parties? Die Unschuld des Probierens? Die Freiheit des Versagendürfens? Schuld ist die Welt: die mich nicht länger nur ihr Schüler sein lässt. Die mir Autoritätsanmaßungen in personae präsentiert, dass noch meine abgebrochensten schmutzigen Zehennägel einzeln kotzen lernen beim singulären Sichaufrollen. Ein präpotenter „Vizekanzler“ Deutschlands, der ernsthaft forderte, Krankenkosten vorab berappen zu lassen vom Bürger, ist nur ein typisches – wenngleich besonders watschenträchtiges – Symptom. Diese enthemmten Lobbyhuren, die uns das als „Regierungsarbeit“ verkaufen, was spielsüchtige Megazocker (denglisch: „global players“) zum Schaden der Völker (der Menschheit, der ganzen Erde!) aushecken, haben in galoppierender Weltfremdheit wie pragmatischer („Banalität des Bösen“) Niedertracht die uns heute schrullig erscheinenden Imperatoren des antiken Roms längst übertroffen – außer an Grandezza.

Das wahrhaft Bösartige ist eh immer von verblüffender stilistischer Mickrigkeit: je imposanter die Geste oder der Bau, desto. Braucht man sich nur mal den „Goldenen Saal“ der Nationalsozialisten auf dem Zeppelingelände Nürnbergs anschauen (den ich in den 80ern anlässlich eines Konzerts der Einstürzenden Neubauten besuchte. Weder „golden“ noch „Saal“. Nur der Sound war gut. Trotz säuischer Akustik des Nazibaus). Ich war ja immer dafür, Tyrannen zwangsweise Künstlerlaufbahnen zu verordnen. Einer wie Gaddafi hat doch zeitlebens seine wahre Berufung verfehlt! Zum Leid so vieler. Und die permanente Uninspiriertheit demokratisch gewählter Volksvertreterfressen hatte lange Zeit etwas Beruhigendes für mich: So kümmerlich die Gestalten, so sicher durfte ich mich fühlen. Ich lasse mich nämlich nicht gern „regieren“. Höchstens von einem System, das mir und meinesgleichen – dem Volk! – jederzeitige Einflussnahme ermöglicht. Und sei’s durch empörte Rentner hinter flugblattbeladenen Tapeziertischen. Oh ja – ich liebte, bei aller Häme und allem babylonischen Gemecker (vielleicht sogar deswegen;-) – mein Deutschland. Es ist vorbei. Nichts mehr „sozial“ an dieser „Marktwirtschaft“. Wir kämpfen um wankende, sinkende, auseinanderbröselnde Ruinen. Aus denen nichts „auferstehen“ wird, was gut tut.

Lügen, Lügen, nichts als Lügen: Die Reaktoren Fukushimas schmolzen längst, als die japanische Regierung noch so tat, als habe Tepco die Lage im Griff (oder umgekehrt. Alle in einen Sack stecken und draufhauen, trifft ggf. die Richtigen). Indes das deutsche Gemerkel aus dem angeblichen „Atomausstieg“ den Maximalgewinn für jene Privatprofiteure herzugesetzeln versucht, die jetzt schon verantwortlich sind dafür, dass zuviele Leute ihre Stromrechnung nicht bezahlen können, ohne ihre Kinder den Drogenangeboten der Provinzstraße auszusetzen dafür. Wieviel Freizeit hast DU – neben und nach deinem Job? In einem stinkreichen Land, dessen industrielle Effizienz statt lauter Hartz-IV-Verarmten eigentlich eine Armada überschäumender Kulturschaffender hervorbringen müsste, weil die Schwerstarbeit von Robotern erledigt wird – in einem Maß, das sich Sozialdemokrateure in den 50ern höchstens als Science Fiction vorzustellen wagten? Die Neandertaler schafften es irgendwie, Tonfigürchen herzustellen, die von keinem praktischen Nutzen waren: Offenbar kamen die gedrungenen Altverwandten des Homo sapiens nicht erst nach 21 Uhr aus dem Büro. Wir aber kürzen die Etats unserer Theater und Opernhäuser – und lassen junge Betriebswirtschaftler den Profimusiker als aussterbende Art belächeln: bloß weil sich Dateien kopieren lassen. Als hätte der Wert der „Langspielplatte“ im Vinyl bestanden! Der monogame Gott der Wirtschaftsgläubigen ist schlimmer als der christliche war: Wo nur noch Geld was wert ist, ist nichts mehr was wert.

Wohin ich schau und maile: Einsamkeit und Angst zerfressen die Gemüter. Hinter den Fassaden: jederzeit der Abgrund. Selbst nicht unbetroffen von all dem Wahnsinn, maile ich Menschen Mut zu, die ich heimlich um ihre Fähigkeit beneide, wenigstens materiell durchzukommen (womit ich mich seit je schwertat). Glaubt mir, ihr Zeitgenossinnen, dass mein größter Trost dieser Tage die Musik geworden ist: Während früher, als ich ganz jung war, die Rhythmen meine Wut befeuerten (was ich heut nimmer nötig habe: Die Welt macht wütend genug!), verbinden mich heute die zarten Melodien darüber mit der Kraft der Großen. Und raunen mir zu: Du schaffst es… Denn es gibt etwas Schönes in der Welt: etwas, für das sich zu kämpfen lohnt – und sogar etwas, das geheilt gehört. Von einem, der mit blutenden Fingern operiert. Am offenen. Und sei’s dem der eigenen Frau, der geliebten Freundin, Gefährtin, Erst- und Zweitfrau (bescheuerte Ausdrücke, aber Frigg und Freyja wissen was ich meine), Zweit- und Drittmann – und der tapferen Freunde. All meine Freunde – es sind nicht so viele, aber ich bin beeindruckt von jeder und jedem von ihnen – sind Helden. Mein Herz pocht mit ihnen. Ich bin verflucht, zwischen ihren Zeilen zu lesen, hinter ihr mutiges Lachen zu fühlen: Und da kommen mir die Tränen.

Jung genug bin ich immer noch, dass es zornige sind! Zorn ist mein Freund, denn ich bin der Odins: des alten Speerschüttlers. (…Sowohl sein Freund, als auch sein Zorn – haha!) 🙂 Und den Speer krieg ich auch noch… schleuder ihn übers Heer. Über die Häuser! Die Verordnungen! Vorschriften! Global Players? Gobal Killers. Global Diers. Dem Sidhöttr weih‘ ich euch, dem Herrn der Geister, Draugadróttinn, dem ollen Schlapphut, hearst Merkel, hearst Rösler-Boy? Hearst, Ackermännle? Ich führe fort, womit Mick Jagger aufhörte 1971. Er hatte die besseren Business-Optionen. Ich die besseren Frauen. Und bin der einzige Weiße, der Bo Diddleys Rhythmus anstimmen kann, ohne sich dabei zu blamieren. Mit mir aber kommen die germanischen Unholde, das streitbare Behindertenballett der Eddaverse (und noch einige mehr: Kennt wer Baduhenna? Tamfana? Oder die Namen der Matronen?) 😉 und Tatanka Yotanka, der große Medizinmann der Hunkpapa, tanzt für uns. Er ist mein geistiger Ahn, wie Klaus Kinski, Bertha von Suttner, Geronimo, Penthesilea, oder all die Verlorenen, die ihr Kaspar Hauser nanntet. Ich beschwöre sie alle. Nichts ist vergessen. Alle kommen sie wieder. Wir besetzen die Puerta de Sol für sie. Auch dort, wo die Sonne seltener scheint: Berlin zum Beispiel. Mögen sie Paul heißen oder Marie oder Taavi. Wir schulden ihnen eine Windel. Und eine bessere Welt. Jetzt.

„Reiß mir die Wolken auf bis übern Horizont: Lass uns mehr wagen, als wir können. Geb dir mein Wort darauf, dass da noch Gutes kommt. Und was du willst und brauchst, will ich dir alles gönnen…“

Wer da ist, macht es. Ich operiere.

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