Eibensang

Ein Hoch auf die Unwahrscheinlichkeit

2016… Das Jahr der sterbenden Stars geht zu Ende und lässt – angesichts der noch in den jüngsten Tagen zusätzlich Dahingerafften – zittern, wen es womöglich noch alles treffen wird: so, wie es sich über 12 Monate summierte wie vorher nicht erlebt – nicht so geballt. Das Jenseits, wie immer es beschaffen sein mag (und vorausgesetzt, dass sich dort die Toten treffen…), hat jetzt wirklich die beste All-Star-Band beisammen und die größte Schauspieler*innen- und Künstler*innentruppe (die erste, an der ich nicht teilhaben möchte… wenn’s irgendwie geht). Ich zähle die Namen nicht auf, es sind (sicher nicht nur mir und für meinen begrenzten Geschmack) zu viele gewesen; zu viele, die mir etwas bedeuteten, die mich mitgeprägt haben und deren Sound und Weiterwirken mir seit je selbstverständlich schien. Wie flüchtig doch alles ist – wir doch alle sind!

Ich habe das Privileg, ohne Fernseher viel weniger Ängsten und Befürchtungen ausgesetzt zu sein als viele andere, denen das schleichende Gift im Geplärr der „Nachrichten“ den Glauben ans Gute verdunkelt und den ans Machbare zersetzt. 2016 war ein gutes Jahr für mich: das eigene Geschick und Umfeld betreffend, vielen bedenklichen Entwicklungen und manch schlimmen Ereignissen ringsum zum Trotz. In mancher Hinsicht bin ich, obwohl ich mich abstrampelte, bemühte, werkelte und schwitzte, keinen Millimeter weitergekommen – doch sowohl Erfolg als auch Liebe trafen mich hie von unerwarteter Seite, da mit ungewohnter Heftigkeit: tragfähig beide. Mir war, als schwänge es mich über den Morast der allgemein schlechten und unheilsgeschwängerten Stimmung(en) im Lande hinweg – nah genug über dem Boden, um am Brechreiz mitwürgen zu müssen, aber trockenen Fußes und heilen Herzens. Dieses Jahr war ich oft dankbar für meine Weltfremdheit: Hass, Horror und Elend schockten mir Auge und Ohr, aber durchdrangen mir nicht das Gemüt. Ich überstand ein mir gefährliches Gerichtsverfahren und behielt mein Heim, das Heil meiner Liebe hielt und erneuerte sich, heilsame neue Begegnungen kamen herzenserwärmend hinzu. In oder zwischen aller üblichen Hektik hatte ich Momente willkommener Muße und überschäumenden Glücks und leistete mir obendrein noch Luxus (mit einer Gitarre mehr, als ich brauche, was – großzügig gerechnet – schon beinahe der Anzahl nahekommt, die ich gerne hätte). Schwelgte in Küssen und dem, was sie mit sich brachten. Fuhr auf fast allen Gleisen vorwiegend heim. Die Ödnis der Zwischenbahnhöfe war mir Klickfotos wert, während meine Gedanken dort weilten, wo ich hingehöre: überall. Was will mensch mehr?

Eine heilere Welt wäre mir recht: eine heilendere, eine mit mehr Aussichten im Gebälk und weniger Arschlöchern in Machtpositionen. Das war zwar schon immer so und auch in den Vorjahren haben sich politische Tendenzen verschlimmert, gegen die wir uns stemmen seit je, sind bereits Künstler*innen gestorben, denen längere Leben zu gönnen gewesen wären, aber diesjahr war beides – das Sterben der Guten und das Triumphieren der Bösen – so krass, dass mir die an sich zu platte Gegenüberstellung hier passend genug erscheint, sie so stehenzulassen: für den atemlosen Moment, der sie erzeugt hat, wieder und wieder, hier wie dort. Ein Stakkato gefühlten Grauens – doch jetzt genug des Mitpeitschens, zu dem mich vielleicht doch das Knallen zu vieler Schlagzeilen (man bekommt sie ja doch mit) verführte. Was ist die Hoffnung?

Vor ein paar Jahren, als sich mir persönliche Schwierigkeiten zu Verzweiflungen auftürmten, die abzutragen ich mir nicht mehr zutraute, schlief ich oft ein mit dem Gefühl, mich hinter niedrigen Hölzern in kaltem Schlamm zu ducken, während rings abgeschossene Pfeile einschlugen: hart und schonungslos. Inzwischen holen mich wieder Raumschiffe ab und entführen mich fast allnächtlich in die Weiten der Meeresgöttin Ran (die dem Mythos zufolge nur ertrunkene Seefahrer in die Tiefe zieht, doch zumindest am Saum der Träume erkenne ich keinen nennenswerten Unterschied zwischen dem All um unsere Mutterplanetin und der samtschwarzen Ewigkeit ihrer nassen Abgründe). Mein Aufwachen am Morgen ähnelt nicht mehr den Starts zitternder und zunehmend schlingernder Raketen, deren Sturzflüge mir den Verstand zerschellen – ich verbrachte halbe Tage in schwelender Panik vor den lächerlichsten Alltäglichkeiten, unfähig, meinen Dämonen zu entkommen und nur auf wackeligen Beibooten billigen und bitteren Trotzes der Nacht entgegenrudernd, in denen ich dann – manchmal, mit etwas Wein im Blut das Herz endlich öffnend –, den Sternen entgegensang und nach der Liebe griff (oder umgekehrt, das ist ja gleich. Und manchmal kenterten selbst diese schäbigen Schaluppen auf halbem Weg).

Ich hatte gute Rituale dieses Jahr, die mich stärkten und mir – fast noch wichtiger – klarmachten, über welche Kraft ich überhaupt verfüge: deutlich mehr als vermutet. Derzeit ist mir geradezu, als ob mich die Jahre selbst stärken: als ob die Erfahrungen mich entschlossener, ruhiger, standhafter und auf gute Art härter machten. Nicht verhärtet, sondern hartnäckiger bin ich geworden – gut so. Ich habe es satt, zu früh aufzugeben – dieses Aufgeben will ich aufgeben, um den Aufgaben gerecht zu werden: denen, die ich mir stelle, als auch denen, die das Leben mir stellt. Es stellt sie mir nicht nur entgegen, sondern durchaus auch hin: Das begreife ich allmählich. Ich fühle mich ihnen angemessen – kann es auch so sagen: Messe mich an ihnen, messe mich ihnen an.

Selbstverständlich weiß ich nicht, wie es weitergeht. Woher wollte ich das wissen – und wozu? Noch eines, was ich kleines Licht und die große Welt gemeinsam haben, haha! Beim Ahnentrinken dieses Julfest, in kuscheligst-vertrautem Kreis Befreundeter und Verbündeter (ich bin reich!), hob eine unserer jüngeren Gäste das Horn „auf die Unwahrscheinlichkeit“: dieser zuprostend, dieses (nur scheinbar abstrakte) Phänomen willkommen heißend – denn nicht nur Gottheiten oder namentlich Bekannte werden in solchem Ritual gefeiert, sondern gegebenenfalls alles, was einzelne Beteiligte bewegt. Ich fühlte mich im Innersten bestätigt: Der Schluck ging mir als einer der tiefsten über die Lippen und ins Gemüt. Denn wie viele Wahrscheinlichkeiten habe ich die letzten 57 Jahre umschifft oder überlebt – wenn sie denn eintrafen! Den Unwahrscheinlichkeiten jedoch, die außerdem passierten, verdanke ich alles, was ich mein Glück nenne. Ihnen vertraue ich weiterhin und umso mehr. Was ist die Hoffnung? Sie ist am Leben. Gute Reise euch allen, guten Rutsch uns.

„Ring the bell that still can ring
Forget your perfect offerings
There is a crack in everything
That’s how the light gets in.“
(Leonard Cohen)

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