Eibensang

Kein Jahresrückblick

Vorletzter Abend des Jahres. Meinen persönlichen Weltuntergang hatte ich bereits 2011 (warum nicht auch mal früher dran sein, ich – auch wenn das wenig über die solchen Ereignissen wohl auch gesunderweise inhärente Unfreiwilligkeit hinwegtröstete. Aber manchmal muss man nehmen, was man hat. Oder wie es kommt). Kein Jahresrückblick diesmal: Ich habe mehr Gründe, nach vorn zu schauen. Auch wenn gerade die in der Vergangenheit liegen (zum Teil in der frischen). Aber dort: sollen sie mal schön liegen bleiben, wenn’s geht. Und Patina ansetzen. Die glänzt so schön. Wenn sie erstmal da ist. Sich gebildet hat. Bildung ist immer gut. Daher: nach vorn.

Hier hätte „eigentlich“ mein Podcast tönen sollen: Episode IV. Ganz klassisch: über Weihnachtsstimmung – in meinem (garantiert subjektiven) Phall natürlich heidnisch intendiert, Yule (Jul) – wintersonnenwendig und so. Magisch, und ganz und gar entchristet (nix gegen den Namensgeber, aber viel gegen jene Relügion, die – soweit wag ich behaupten zu dürfen -nie die seine war). Ja, ich bin intolerant. Ein bisschen was hat abgefärbt (die letzten 1.500 Jahre). Aber ich bin ja work in progress -und weiß recht genau, wohin unterwegs: zumindest in spiritueller, also wesentlicher Hinsicht. Es wyrd minütlich besser. Ich schwör‘. Aber bleiben wir beim Thema.

Meinen Pottkasten: hab isch nisch fertich gekricht. Gah nich‘ anfangen können. Kaum, dass ich „Shiránia“ geschafft hab – (in jeder Hinsicht) erstes Buch: „Grenzgänger“, 696 Seiten gedruckte Phantasie (inklusiv vier skizzierter Landkarten, die aber auch keine irdischen Gefilde zeigen), teuer… daher alternativ erhältlich als – ebenso dickeres wie schnäppchengünstigeres – E-Book mit umfangreichen Anhängen, Glossar, und sonstigem Erklärbär-Fun (Links folgen, sobald Technik und Orga funzen). Diese Arbeit – nicht den Fun, sondern die Verwirklichung vons Janze – hatte ich (da es mein Roman-Debüt ist: über die Schreibarbeiten selbst auch hinaus) schwer unterschätzt: das Weihnachtsgeschäft terminlich knapp verpasst. Auch daneben, ich weiß. Aber wird ja nicht schlecht, der Schmöker. Womit ich nur sagen will: Ich war beschäftigt, Kinners, mit neuen und gänzlich ungewohnten Aufgaben, deren Aufwand ich nicht einschätzen konnte, bevor ich sie zum ersten Mal vollbracht hatte. Irgendwas das erste Mal zu machen in diesem einen Leben, hält auch jung. Obwohl das nicht die Intention war. Dachte immer, wenn ich mal alt würde, könnt‘ ich „immer noch“ schreiben. Hab nur nicht geahnt, was das für Zeit kostet. Obwohl es ja nicht körperlich anstrengt. Aber hätte zumindest inzwischen schon wissen dürfen: Nicht nur das Schwingen eines Spatens oder einer Spitzhacke ist, soll das Ergebnis ein haltbares und vorzeigbares sein, energie- und vor allem zeitaufwändig. Gerade mit den Sachen, an die man erstmal nicht so gedacht hat. Zeug, was so dazukommt – und dazugehört zum Prozess.

„Wort aus dem Wort verschafft mir das Wort, Werk aus dem Werk verschafft mir das Werk.“ (Aus der Edda)

Schritt für Schritt gehen sie, immer und nur: alle Wege, die ich je beschritt.

Liest hier noch wer? Ich weiß, diese Rubrik (oder „Blog“, wie frau heute sagt;-) hatte Leserinnen. Und Leseriche. Zählbar, klar. Aber Zahlen haben mich nie so sehr interessiert wie Intensitäten. Und damit glaube ich mich einig zu wissen mit denjenigen Menschen, die bereit sind, auch meine Zeilen hier zu verfolgen. Heute früh verfing ich mich stundenlang in einem ungeplanten, mehrfach überraschenden Telefonat mit einem wunderbaren Kumpel, den ich seit Mai nicht mehr gesehen (und auch nicht mehr gesprochen) hatte, und von dem ich – nebenbei – erfuhr, dass er, obwohl kaum mehr als halb so alt wie ich, bislang nur mit drei Frauen Sex gehabt hat in seinem Hetero-Leben. Was weder sein Problem war noch meins ist. Überraschte mich nur zusätzlich: einfach der vermuteten Ungewöhnlichkeit halber. Ihr müsst wissen, dass jener weit entfernt wohnende Kumpel der kompetenteste Heiler und Krieger ist, dem ich je begegnen durfte. Ich kaufe mir noch mal einen Hut, damit ich den vor dir ziehen kann, Freund. Und wenn ich diesen Ehrenmann von Kumpel nicht zum Feind haben will, dann nicht deshalb, weil ich ihm binnen Sekundenbruchteilen unterläge in so gut wie jeder denkbaren Disziplin (ihr Götter: keine Ehre wäre es für ihn, mich umzunieten – ich wäre weißtyr kein Gegner) – sondern weil ich lieber für ihn stürbe im Versuch, ihm einen Vorsprung vor einem echten Gegner zu verschaffen (so er das nötig hätte): Ich bewundere nämlich ausgiebig und inbrünstig, wie dieser junge Mann sein Leben gestaltet, und was er damit anfängt. Und was er davon weiterzugeben imstande ist. Ein Vorbild, sozusagen. Zu dem ich gern und schamlos aufschaue. Mit Stolz: dass der mich anruft – und mich einweiht: in ein intimes Problem, wie ich sie schon öfter mal hatte. Ohne dass er meines Rates bedurft hätte: Ich hab nämlich keine blöden Freunde. Denken können die selber. Alle. Ihm mein Ohr zu geben, war das mindeste. Du hättest, bräuchtest du sie, auch eine Tür, du weißt das, ja? Eine Tür und einen Schlafplatz für erstmal unbefristet. Ich will dich wiedersehen, Oida: wo und wann auch immer. Unter allen Umständen!

Ein – mittlerweile leider verstorbener (und älterer) Freund – lobte vor vielen Jahren mal meine „Begeisterungsfähigkeit“ – womit er mich fast enttäuschte. Was hab ich denn sonst? Das ist doch mindestens mein „Normalspeck“ auf der Waage: der, die zählt, oder? Ich hab auch eine Freundin, die sowas versteht. Ich meine keine Intimpartnerin: sondern eine Freundin, mit der ich zuweilen Intimitäten von Herz zu Herz austausche. Wir erzählen einander, was uns tief bewegt: offen und rückhaltlos. Die ist auch begeisterungsfähig. Traurig, es erwähnen zu müssen: weil ich immer meinte, wir alle wären so – müssten doch so sein. Unabhängig vom Lebensalter! Ich sah mal in die glühenden Augen eines Greises, der, anders als mein verstorbener Vater, Künstler war. Ich meine aber das Glühen. Die Wachheit. Den Lebenshunger. Die Weisheit. Ich hab mir meine Vorbilder auf der Straße aufgelesen. Auf der Gass‘, und manchmal in der Goss‘. Deshalb versteh ich Jesus. Den lieb ich wegen Magdalena, der angeblichen „Hure“, und nur deshalb. Weil er, wie die Legende erzählt (und er hat nur solche: gesichert is‘ nix), die Frau behandelte wie – nein: als – einen Menschen. Das aber, so lernte ich – über eine göttinseidank komplett gescheiterte Männersozialisation meinerseits, schmerzvoll übrigens, aber umso dankbarer heut‘ – ist die einzige Art, wie mann frau zu behandeln hat, behandeln darf, behandeln soll, behandeln kann: als Du (Ihr oder Sie inklusiv, je nach Angemessenheit, aber immer:) in Augenhöhe. Auf GLEICHER Augenhöhe. Aus Gründen. Welchen? Denen der Selbstachtung! Heil ist, wenn wir uns begegnen: ohne, dass sich eine/r von uns bücken muss dabei. Der Respekt, den du deinem Gegenüber erweist, ist der, der dir gebührt.

Das geht – so, wie ich die lebendige Welt wahrnehme – über die „Menschenrechte“ hinaus. Die ich so oft beschwöre. Aber, bei Katz und Maus: damit will, kann und darf ich’s nicht bewenden lassen. Ich will mehr! Soviel, wie nötig ist, nämlich. Ja, ich bin leidenschaftlich. Ich litt, ich kann leiden, ich kann dies leiden und jenes nicht, ich litt wie ein Hund (getretene Töle, zu der ich Zweibeiner mich machen ließ), und erfuhr meine mögliche Höhe aus dem Abgrund meiner erreichten Tiefe. Ich kenne die Dunkelheit. Leute, der einzige verdammte Unterschied zwischen mir und einem anderen Tier ist der, dass ich Musik brauche: welche, die hörbar klingt. Die Tiere kriegen ihre wahrscheinlich irgendwie auch so und ohne. Ohne, dass jemand Gitarre oder Synthie oder sonst ein Instrument spielt. Ich mensch muss mich immer wieder vergewissern: über Rhythmus und Harmonie -dessen, was andere Menschen zum Klingen bringen. Oder, wenn mensch grad nicht verfügbar, das, was Wasser und Wind mir tönen. Erde und Feuer, wenn’s sein soll. Eis und Feuer, wenn’s zischt: wie in meinem Horrorskop. Ich hab ein arg verformtes Pentagramm an jedem Ende meiner beiden Arme, die ich deshalb ausbreite, und es sind nur meine Hände: fünf Finger an jeder Extremität. Schlagt sie mir ab, Schergen, sie gelten doch. Wir siegen. Wir: Hände der ins Schicksal Eingreifenden. Auch wenn sie Blut spritzen. Weil: wir eingreifen. In das herrenlos rudernde Rad. Tut weh? So what. Vor uns der Abgrund! Steuern! Kurs halten? Kurs nehmen! Eine Chance – bauen! Der Versuch zählt. Wird dir angerechnet. Von wem? An was glaubst du. An nix? Dann – lass fahren. Aber selbst dann: sprechen wir uns, hernach. Und ich frag dich: Warum hast du’s – nichtmal probiert? Mit deinen groben Pfoten? Deine Arme – oder spätestens deine Wut, deine Frustrationen – sie hätten die Kraft gehabt.

Warum wähle ich so pathetische Bilder? Weil mir’s ums Ganze geht. Über mein bisschen Leben hinaus, Kinners. Ich bringe es nicht fertig, „tagesaktuell bezogene“ Blogs zu verfassen. Das machen andere besser. Ich meine trotzdem – und auch – Tagesereignisse: die deinen wie die meinen. Ich ziele auf den Zusammenhang der scheinbaren Beliebigkeiten. Ich habe einen Auftrag. So wie Gandalf, nur dass ich kein Zauberer bin. Obwohl bald grau. Worauf ich aber stolz bin: denn ich habe überlebt – bis jetzt – und das, meine ich, spricht für mich. Aber ich träume davon, eines Tages auch ein „befreites Lachen“ von mir geben zu können – und wenn das mein Todestag ist. Und vielleicht nichts beinhaltet als eine ledigliche Prophezeihung. Möge sie zu den „selbst erfüllenden“ gehören! Aber dieses Lachen soll allen Mut machen, denen es je – in irgendeiner Lebenssituation – so ging wie mir. Überlegt es euch noch einmal: bevor ihr euch vor den Zug legt und einen unterbezahlten Lokführer unglücklicher macht, als ihr es je wart. Das hat weder der Lokführer noch die Welt verdient. Die verdient viel mehr euch: MIT all euren Schwächen, Defiziten, Verzweiflungen und Unlösbarkeiten. Ihr seid nicht umsonst hier. ICH brauche euch. Ich weiß, ich red‘ schon wie Odin. Aber es geht nicht um „Einherjer“, um „letzte Schlacht“ in einer Mythologie – sondern um erste und nächste Regung in einer sonst verdammt nochmal allzu alltäglich zu werden drohenden Agonie: der Lebenden! Der noch Lebendigen!

Ich biete dir meine Hand. Unabgeschlagen (denn noch bedrängen uns keine Schergen), und voller Bereitschaft, zu fühlen, was wir uns Gutes leisten mögen auf der Welt (und was uns nur dann Sekt kostet, wenn wir was Perlendes trinken wollen dazu;-). Ja, ich schaffe das (sag ich mal ganz frech): Lieben zu können, als sei ich nie verletzt worden. Tanzen, als ob mir keiner zusähe (tut ja auch niemand, oder;-). Atmen, als gäb es keine Autos. Und lachen, als gäbe es eine Sonne auf der Welt, die jeden Morgen aufgeht. Stellt euch mal vor, es gäbe sowas! Stellt euch nur mal vor! Wenn ihr keine seht: müsste es eine geben. Finde ich!

Dafür stand ich einst auf. In einem Gefängnis, das so unsichtbar war, dass ich selber blind, taub und stumm war. Aber ich lernte sprechen, singen und hören. Und sogar sehen. Und wo das nicht ging: ahnen. Ich ahne meine Ahnen. Und ahne dich: nötiger, als du ahnst.

Was ich geschafft habe in meinem bisherigen Leben, steht nicht in der Wikipedia. Ich muss – und darf – mich begnügen mit persönlichen Begegnungen. Meine letzte bürgerliche Auszeichnung war – wie mir heut‘ in einem launigen Gespräch mit meiner Geliebten auffiel – meine (schon beträchtlich lang zurückliegende) Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Ich musste dann weinen: um eine Freundin, die daran starb (so um die 20), dass sie irgendwann doch einen Husten bekam. Den sie nicht mehr abhusten konnte: tödlich für progressive Muskeldistrophikerinnen. (Das heißt, dass du physisch so schwach bist, dass dir jemand das Tütcheneis, das du schleckst, vor die Gusch halten muss. Deine Hände können das nämlich nicht: du kannst sie nicht so hoch heben -geschweige denn mit dem Gewicht eines Tütcheneises. Und dass du doppelt so lang wirst, wie du bist, wenn dich einer deines Vertrauens hochhält, damit dir jemand zweites bzw. drittes das Höschen runterzieht, um dich dann für den sog. „Stuhlgang“ auf die Klobrille setzen zu können.) Heya, Carrhoshina. Ich grüße dich: jedes Jahr im Kreis meiner gewählten Ahnen. Dein Hüftschwung mit dem schweren E-Rollstuhl bleibt unvergessen.
Dein Vertrauen ehrt mich bis heute. Wir haben uns verstanden. Ich seh dich durch die Milchstraße fliegen, Carrhoshina Pippi Langstrumpf. Obwohl du mit deiner bronzenen Haut und deinem blauschwarzen Haar viel schöner warst als die. Darf ich dir jetzt mal flüstern, Schönheit aus Portugal.

Meine weiteren Grüße gehen in die Steiermark. An die liebe Familie meiner Ex. Und an den Freund, der seine langjährige Liebste ähnlich hart verlor wie ich die meine just ein Jahr zuvor. Sind die Fische gut in der Mur? Spiegelt sich die Sonne auf den Eisschollen (wenn es welche gibt), wachsen magische Pilze unter (den gemütlich geparkten Hintern von) Anglern? Oder wenigstens ihrem geliebten Latein? Ja, geliebte Ex-Schwiegermutter: Ich mag Sprangerl. Wie die Erbsen in deinem Reis, neben deinen perfekt plattgeklopften Schnitzeln, für die ich jederzeit einen Abend in einem Gourmettempel gäbe. Ihr fehlt mir alle. Danke für jede Minute in eurem Kreis. Baue mir grad ein neues Leben auf, bin noch – obwohl da schon Zeit verstrich – ganz am Anfang.

Kein Jahresrückblick. Ich schaue nach vorn.

3 Reaktionen zu “Kein Jahresrückblick”

  1. Dee

    Ein gutes Neues Jahr und Frieden, für Dein Herz, Deine Seele, in Dir und um Dich!

    Fühl Dich umarmt, Dee

  2. irka

    bleibt begeistert, Bitte! Und schau nach vorn, ich wünsch dir eine Sonne, die dir den Rücken wärmt und dich geschmeidg hält und einen Rückenwind, der dir voranhilft, wenn du es brauchst.

  3. Andrea Hirschmann

    „Liest hier noch wer? “

    So ist es! Mit Begeisterung. Bringt meine eigene Begeisterungsfähigkeit wieder in Fahrt – für die richtig(en) wichtigen Dinge. Die läßt sich nicht Umpolen, diese Fähigkeit, so gerne sie (die mit den Währungssymbolen in den Augen) das auch gerne hätten.

    Und doch, in letzter Zeit, dort im Haifischbecken, in manchen Augen sehe ich sie schwanken, die sprichwörtlichen Dollarzeichen. Wie Schuppen, die sich lösen, kurz vor dem Fallen.

    Kapitalismusgläubige, die erstmals einen – ungläubig erschreckten – Blick auf das wahre kalte Herz ihrer Religion zu tun gezwungen sind. Verratene Diener, Kinder der sich schamlos in all ihrer Macht zeigenden enttarnten bösen Stiefmutter aus dem Märchen.

    Mögen sie aufwachen aus ihrem Heilewelt-Traum (auch wenn sie das gar nicht mögen).
    Sich uns, dem Leben, anschließen!

    Andrea

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