Duke Meyer

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speertraeger

Ich hob den Speer auf, zog ihn aus dem Gitter, wog ihn in der Hand. Lang Holz, hart wie Eisen, verziert mit gelbgefärbten Federbüscheln, die von einem hundertjährigen Huhn zu stammen schienen – ebenso die Knöchelein, festgezurrt am rissigen Schaft, dicht bei der Spitze. Die war grob behauener Flachstein, Form a la Faustkeil, grabsteingrau und blutscharf.

Das war also der Speer. Kein Zeichen eingeritzt noch gebrannt, weder schien er jemand zu gehören, noch war er je benutzt worden – soweit zu meiner Ahnung. Uralt sicherlich, Herstelldatum weit jenseits von antik, und als archaische Waffe die wohl unpassendste Zierde für einen gewöhnlichen Straßengulli. Doch genau dort stak der Speer zwischen den Ritzen, dort zog ich ihn heraus, nahm ihn in meinen vorläufigen Besitz.

Einmal balanciert, war er viel leichter als er aussah – und von ruhiger Hand geschleudert mochte diese Mittelstreckenrakete der Vorzeit wohl auch heute noch für einen guten Spaß böse sein. Ich zündete mir eine Kippe an. Der moderne Mensch, Ende 20. Jahrhundert, fragt selten nach dem Woher oder gar Warum – der fragt sich allezeit nur: wohin?

Die Luft war deutschlich feucht, noch nicht kalt, nur durchschnittliches Geniesel für eine ebensolche Bevölkerungsmehrheit, leichter Wind.

Wohin – damit? Ein Dreh um die eigene Achse – die Lanze soll mich leiten – die ganze Umgebung verschwimmt zum verwaschenen Zielfleck im Fadenkreuz meiner zusammengekniffenen Wimpern: auf den vergitterten Juwelier? Oder die runtergelassenen Rolladen der Würstchenbude? Durchs – vermutlich alarmgesicherte – Glas der albernen Herrenbekleidungsvitrine? Oder eins der trostlos blinkenden Leuchtschilder absegeln lassen?

Dann schon lieber auf Passanten warten. Vielleicht kommt sogar eine nächtliche Streife – das dümmliche "Was haben wir denn da?" gar nicht erst abwarten, sondern gleich (präventiv!) die Lanze wie in Zeitlupe durch die Frontscheibe des herannahenden BMWs splittern lassen: die grünweiße Wanne mit Gequietsch in die Schaufensterauslagen der verkehrsberuhigten Zone reinklirren sehen – und kräätsch! Und haa: tatü, tataa, tateng...

Aber kein Schwein auf der Botanik heut nacht, nichtmal ein verdammtes Zombiepärchen. Dann wenigstens eins der oberen Wohnfenster anvisieren – auf gut Glück vielleicht irgendein vögelndes Ehepaar durchbohren: aufeinander festnageln, so daß der Tod euch binde?! – Alles Verschwendung. Den Speer also heimtragen.

Na, wo seid ihr denn jetzt, ihr Kung-Fu-Komparsen meiner trüben Jugendjahre? Laufen Eure Scheiß-Stimulanzen nicht mehr im Kintopp? Oder habt ihr wohl gar... nicht mehr genügend Freizeitfrust? Den loszulassen auf offener Straße in sabbernder Horde gegen einen einzelnen andersaussehenden Streuner doch seit je eure ganze Lebensleistung war! Wie intellektuell muß man denn noch werden, um euer Identitätskürzel zu überhören – es gällt mir noch heute auf der Galle: "Ääf-Zeeh-Änn, F.C.N!" (FCN: Fußballclub Nürnberg, Anm. d. Verf.)

Ich weiß, was das heißt. Ich kann fränkisch! "Fffantasieloseste Fffanatiker-Cannaille of nighty Nuremberg". Lang bin ich euch nicht mehr begegnet – schade fast: Denn heute würde ich eure aufgeschwemmten Bullenbeißergesichter schon zum Zucken bringen, und kämt ihr auch im doppelten Dutzend, ihr Bauernbuben!

Denn seit soeben bin ich Speerträger – wenn schon nicht durch Vorsehung, so doch wenigstens durch zufälligen Fund. Mein Drüberstolpern über die Dinge gegen eure Zweifelsarmut! Mein verlängerter Arm und Atem gegen euer hirntotes Horden-Halali – mal sehen, wer die Jagd gewinnt! Heute würde mich schon eure bloße Häßlichkeit dazu animieren, mein Gerippe gegen euren bierstinkenden Dumpfhaß zu behaupten – ach...!

La Luna schickte aus naßkalten Himmeln ihren bleichen Trost zu mir herab, und über den toten Asphalt trottend spürte ich, daß es gut war, etwas in der Hand zu tragen, das mich mit der geliebten Silbersichel verband. Oben die Mondin, immer und ewig, unten ich, Vorübergehender nur... bereit, ein Leben zu geben an eine sterbende Welt!

Ich heim. Die Federn tanzen vor meiner Nase – sie stinken wie ein wildes, lebendiges Viech. Ich guter Stimmung, zuerst fröhliches Gemurmel, bald halblauter Singsang, vorbei an der Kirchenfassade, runter die spiegelnasse Chaussee Richtung Unterführung, auf deren schmutzigen Anblick ich mich freue. Denn hier haben sie´s nicht gewetgelt, in Bonbonfarben oder Verlegenheits-Pink getunkt – hier ist Wirklichkeit: Eisenträger, so alt und dreckig, als wollten sie als Elefantenbeine des vergangenen Industriezeitalters gegen die keimfreie Welt der Chips und Clean Rooms anstinken – Fossilien wie ich. Jenen Eisenträgern hatte ich ja einst ein Lied gewidmet, nur aufgeführt hab ich es nie, unser Geheimnis war es je, und verstanden hätte es ja sowieso niemand – außer irgendeiner einzelnen Betonpiratin vielleicht, aber für die habe ich ja noch genügend andere Lieder zu verstehen.

(Singsang: Eisenträger halten Brücken über mir / und wer hält mich / wenn ich mich nachts auf der Straße / kreuz und quer ins Nichts verpiß...)

AIIIEEEEEH! Hier schreie ich, und kein Widerhall kommt von den Kacheln – die pißgelbe Wand schluckt allen Laut wie immer – hier im Tunnel, über mir die Bahngleise. Autos haben's ja immer und überall besonders eilig, nur um diese Zeit an diesem Ort ist nicht viel Verkehr, alle Lichter blinken nur von ferne. HO! EYA! HUA! UH! Und ich rappe ein wenig Nonsens vor mich hin.

Den Speer – den werde ich heimtragen. Und ihn hinterm Haus in den Boden bohren. In den frischen Baustellenboden: dort, wo sie neulich das alte Nachbarhaus flachgemacht haben, um irgendwas zwischen "Eiwobau" und Bumsbüro hochzugießen. Zwischen den Baggern und Baumaschinen wird über Nacht der Speer stecken... Und wenn morgen früh die Arbeiter kommen, wird die Lanze verschwunden sein. Und keiner wird sie je zu Gesicht bekommen haben!

Im Haus aber, das sie errichten, wird Krieg herrschen, und Blut wird auf die Velours der Eigentumsparzellen tropfen. Kripos werden Ausweise zeigen und verlangen, Fragen stellen und geschäftig tun. Angehörige werden heulen, Make Up wird sich zu Grimassen verschmieren, und Nachbarn werden in geilem Entsetzen über jene erbleichen, die ihre Existenz im Affekt verpfuscht haben. Kinder werden verstört und überflüssig herumstehen, und Blaulicht wird leuchten jedes Jahr aufs neue. Und der verschwundene Speer wird Ernte halten über alle kleinkarierten Lebensentwürfe und vernagelten Beziehungskisten, bis auch hier eines Tages der Widerschein künstlicher Sonnen die Nacht negiert, und mit dem herannahenden, seltsam schwer schmeckenden Wind die kritische Masse Mensch Neutron für Neutron ihr Restrisiko frißt.

Ho. Ich habe gesprochen.




text © duke meyer 1989

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