Eibensang

Wahlen – deutsch und demokratisch

„Wahlen“ stehen an. Gewählt wird die „Bundesregierung“. Richtig – das sind derzeit diese notorisch charakterschwachen Figuren, die deutsche Panzer an mittelalterlich anmutende Diktaturen wie Saudi-Arabien verkaufen und uns von US-amerikanischen Geheimdiensten flächendeckend, tiefgreifend, lückenlos – und ggf. jederzeit folgenreich (aber auch das unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit, von demokratischer Kontrolle ganz zu schwelgen) – überwachen lassen, als wären wir alle Verbrecherinnen, Bombenleger, Terroristinnen (und natürlich, nicht zu vergessen, Kinderschänder).

Eine Schande ist es in der Tat: dieser notlose Kotau angeblicher „Volksvertreterinnen“ vor den fleißigen Schlapphüten der wildgewordenen Hi Tech Stasi-2.1-Internationale, directed by Gods Own Country… Die bedingungslose Kapitulation des deutschen Innenministers Friedrich vor der systematischen Ausspähung durch den USA-Geheimdienst (!), ausgedrückt durch die schulterzuckende Empfehlung, jeder Depp möge bitt’schön selber für die „Verschlüsselung seiner Mails“ ein kleines IT-Studium auf eigene Kosten stemmen (als ob das was hülfe), hat exakt das Niveau, als vermeldete uns die Polizei, sie gäbe ihren Job auf, da es sich eh nicht lohne – wir sollten selber schauen, dass uns keiner was klaut oder übern Haufen schießt: Besorgt euch Waffen, Bürgerinnen, wir – die gewählten Funktionäre des Staates – kümmern uns einen Dreck darum, ob eure Oma sicher über die Straße kommt oder vielleicht straf- und konsequenzlos von irgendeinem Raser überfahren wird… Und wenn irgendwelche Hooligans dich vergewaltigen, biste selber schuld – wärste halt nicht so spät noch (oder überhaupt!) ausm Haus gegangen, du Schlampe.

Insofern kriegt der militärische Support eines Staates, in dem Frauen nichtmal Autos fahren dürfen, schon wieder einen gewissen gruseligen Sinn. Man merkt, welche Werte bei wem so vorherrschen. Und – ganz in Comic-Manie – phantasiert sich derselbe Kratzfußminister ein „Supergrundrecht“ zusammen, das seinem angeblichen Inhalt „Sicherheit“ zwar hohnspricht (da als leere Worthülse in die heiße Sommerluft geblasen), aber auch ohne jede gesetzliche Grundlage das irgendwie immer noch vorhandene Grundgesetz überlagert, aushebelt und vermutlich auf den Printwert seines Papiers verweisen soll.

Willkommen im Wilden Westen. Wir sind die Indianer und dürfen die Kavallerie wählen. Auf die Beteiligung bin ich jetzt schon halb so gespannt, zumal das Ergebnis ja schon feststehen soll: in dieser deutschen, in dieser demokratischen Republik. (Manchmal frage ich mich, wer von den beiden konkurrierenden deutschen Staaten damals eigentlich wirklich gewonnen hat. Aber das ist in tragischer Weise egal: Das Volk hat verloren – hüben wie drüben.)

Deshalb gibt es die verquirlten „Piraten“, die traditionsreiche „NPD“ und die Ein-Parolenpartei „AfD“. Lauter Unzufriedene.

Die Piraten sind weitgehend ausgehebelt, sie können schuften was sie wollen und Konzepte noch und nöcher aufstellen – einmal für „inhaltslos“ erklärt, ist das einfach am leichtesten zu merken für alle, die dem gebetsmühlenartigen Medien-Kehrreim glauben. BILD und SPIEGEL dir deine Meinung (aber mach das bitteschön nicht selber: Wir erledigen das für dich, mit freundlichen Grüßen, deine Vorurteilsbewahrer von der Mega Media Mania Mutlosmacherfront. Du schau inzwischen Dschungelcamp!).

Die NPD wiederum darf sich sonnen – allem Verbotsgedroh zum Hohn – in der nur oberflächlich verhohlenen Schirmherrschaft einer Geisteshaltung, die aus Regierungskreisen kommt und ihr Gift tief in den erodierenden Mittelstand geschossen hat: Schuld an deiner drohenden Misere sind alle die, vor denen du Angst hast, weil du ganz schnell zu ihnen gehören könntest. Die Habenichtse, die „Asozialen“, die Hartzer, die Penner – all der Abschaum deiner Abstiegsfurcht – Neger, Zigeuner, Asylanten, Türkenbanden, Arbeitslose, Kopftuchträgerinnen inklusive: deine künftigen Nachbarn, wenn du die nächste Rate nicht zusammenkriegst. Wer ganz dumm ist und das unbedingt bleiben will, glaubt an die Überlegenheit seines Blutes, obwohl das auch nur genauso rot ist und bleibt wie irgendwessen (sämtliche Geschöpfe des Tierreichs mit Ausnahme der Insekten weitgehend eingeschlossen).

Wer auf höherem Niveau seiner Dummheit frönen möchte, ohne gleich mit Springerstiefeln und Arierlegenden gleichgesetzt zu werden, klammert sich an das originelle Versprechen der AfD, dass „der Euro“ an allem schuld sei und die „Rückkehr zur D-Mark“ auf jeden Fall jenes BRD-Gefühl wiederherstellt, in einem halbwegs sicheren Staat zu einigermaßen überschaubaren Lebensbedingungen sein Glück machen zu können. Ein Nostalgiebild, das die Überprüfung noch des eigenen Wertkonservativismus überflüssig macht, da es gar zu schön anmutet: einfach wieder mehr wie „damals“ leben können… als „die Welt“ noch in Ordnung war (und wenn es auch nur eine Lüge sehnsüchtiger Möchtegern-Erinnerung ist).

Aber dank der ältesten Partei Deutschlands, die es schaffte, aus dem eh schon stark gelichteten Charakterpool ihrer verbliebenen Dauerwendehälse und Schleimscheißerprofis noch den ungeeignetsten und unglaubwürdigsten Daherpolterer zum „Kanzlerkandidaten“ zu küren und auf dieser für so ziemlich alle offensichtlichen Fehlentscheidung zu beharren wie Schnauzbart-Adolf am Endsieg Großtäuschlands, darf Kohls (auch programmatische) Erbin zufrieden ihre Finger zur bekannten Hohlgeste falten: Ihr Machterhalt scheint sicher, und damit alle Prämisse ihrer „Politik“ – die Claqueure und Hofberichterstatter (degenerierte Erben einer heruntergekommenen Branche namens Journalismus) applaudieren nahtlos seit Monaten, mag auch eine Skandalwelle nach der anderen Köpfe rollen lassen – es sind immer die unteren, und in der Christenunion und, leider nicht zu vergessen, auch den Mövenpick-Lobbyisten dieser komischen Kleinpartei, deren Hauptziel und Leistung das Mitregieren ist (mit wem auch immer), wächst allezeit korruptes Nachwuchspotential heran. Minister geht, Minister kommt – davon schafft sich Deutschland noch keineswegs ab, nur die Republik ist in einem ausgemerkelten Zustand. Aber es ist ja eine immer noch demokratische. DIE deutsche. Demokratische. Oder – betreten wir tatsächlich #Neuland?

Nicht Deutschland wird abgeschafft – nur immer mehr Parameter, die das Auskommen hier löblich, das Leben lebenswert und noch das Durchwursteln möglich machten. Zum wiederholten Mal unterschrieb ich eine Petition gegen die Abschaffung der Künstlersozialkasse – mal wieder im Sommerloch angedroht: Auch ich bleibe gerne ein freier Bürger und begäbe mich äußerst ungern in die Schikanenmühle von Hartz IV, wo etliche meiner Freunde längst sind. Es hat durchaus Sinn, Petitionen zu unterschreiben – unvergessen der persönliche Appell einer Syrerin auf der Berliner re:publica 2012, die uns noch Satte beschwor, den schon Entrechteten und längst Gefolterten wenigstens mit Mausklicks beizustehen: Diktaturen scheuen die Wahrheit, je mehr sich aber zu ihr bekennen, desto größer die reale Chance auf Gerechtigkeiten. Die Botschaft war, dass öffentlicher Druck durchaus wirkt und was ausmacht.

Was ist mit uns, unserem angewrackten System, unseren Hoffnungen auf Halbmast? Wollen wir das Parlament wirklich dem amtierenden Gesockse überlassen, das uns das Wasser abgraben will (ja auch schon ganz reell: siehe die Privatisierungsbestrebungen darum, und das zynische Statement, dass Zugang zu sauberem Wasser „kein Menschenrecht“ sei – ja, was denn sonst?), obwohl sie uns permanent das Gegenteil versprechen? Wollen wir weiter Lobbyisten für jedwede beliebige Konzerngier herrschen und walten lassen – oder schenken wir unser Vertrauen denjenigen Engagierten, die noch nicht komplett korrumpiert sind, und sei’s mangels Erfahrung? Wählen wir die sichere Selbstverarschung – oder die unsichere Chance? Welche Wahl haben wir überhaupt? Wenn wir sie meiden, profitiert davon die traditionsreiche NPD. Sowohl rechnerisch als auch ideell. Antidemokratische Verhältnisse entstehen durch die Verdrossenheit derer, die sie ändern könnten: noch. Hier und jetzt und gleich. Ich rede gar nicht davon, ein Kreuzchen zu setzen auf einem verdammten Zettel. Ich rede von Utopien. Von einer besseren Welt. Die ich nicht erwarte, geliefert zu bekommen. Die ich aber bauen will. Erschaffen. Zusammen mit dir und dir und dir. Für uns alle. Der Wahlzettel ist nur eine Geste. Aber in vielen Ländern all over Mama Globus gibt’s nichtmal die. Ich habe nicht vor, mich damit zu bescheiden. Ich lasse mich nicht abspeisen. Das Ankreuzen reicht mir keineswegs – aber es IST eine Geste.

Ich will meine Lebensverhältnisse verändern. Das kann ich nicht alleine, denn ich habe sie nicht geschaffen und verantworte sie nur mit im Rahmen meiner Handlungen und Unterlassungen. Deshalb appelliere ich an dich, die / der du das hier liest: World of Warcraft – oder welche Ablenkung auch immer – wird uns nicht helfen. Erinnere dich an Matrix I: Welche Pille nimmst du – für was bist du bereit? Ich will die wirkliche Welt. Meine, deine – unsere – Träume in dieser wahr machen, wirklich und wirksam machen. Es lohnt sich, es geht. Yes we will. Jeder Schritt zählt, jede Geste – sogar: jeder Gedanke. Denn noch jede Weltveränderung hatte einen zum Ursprung. Es muss nicht der eines einzelnen Menschen sein. Manchmal haben viele dieselbe Idee. Die großen Veränderungen – seit den überwundenen Sklavenfesseln der Antike (und schon davor und auf ewig danach) – wurden nie von jenen „Führern“ bewirkt, die posthum den Ruhm dafür einheimsten – in irgendwelchen öden Geschichtsbüchern aber nur.

Bewirkt, wahrhaft bewirkt und wahr gemacht – wurden all diese Veränderungen – die wahren Fortschritte (es sind nur soziale, die zählen!) – von Massen. Von (Leuten wie) dir und mir. Unseren – in diesem Sinne so nennbaren (obgleich nie „blutsverwandt“ sein müssenden) – „Vorfahren“. Auf deren Schultern wir stehen. Und denen wir auch was schuldig sind. Und sei es die Freiheit, die richtigen Gedanken überhaupt denken zu können. Ich zitiere Charles Chaplin („Der große Diktator“, Film 1940): „Dafür lasst uns streiten!“

Die Wahl – haben wir immer. Jeden Tag.

4 Reaktionen zu “Wahlen – deutsch und demokratisch”

  1. Mehr Demokratie beim Wählen wagen! (German Edition) · WWW.INFOWEBHUB.NET

    […] Eibensang » Blog Archiv » Wahlen – deutsch und demokratisch […]

  2. Kisa

    Ich kenne deine Seite schon länger, habe aber noch nie kommentiert. Heute muss ich es tun: Wieder mal ein erstklassiger Beitrag! Ich kann nicht verstehen, wie so viele sich mit Computerspielen, Fernsehen oder womit auch immer zudröhnen und die aktuelle Lage in der realen Welt so völlig ignorieren können. Ich verstehe den (emotionalen) Wunsch, die Augen einfach davor zu verschließen, nach dem Motto: Sehe ich dich nicht, siehst du mich auch nicht. Aber wenn wir einmal in vier Jahren die Möglichkeit haben, die Demokratie zumindest nominell aufrecht zu erhalten, ist es dringend Zeit, aus der Lethargie zu erwachen.

    Darf ich deinen Artikel auf Facebook teilen?

    Viele Grüße
    Kisa

  3. Duke

    Aber gerne doch!

    Viele Grüße
    Duke

  4. Claudia

    Super erfasst und geschrieben, Duke! Ich teile das jetzt auch auf dem Fratzenbuch des Zuckerbergs. Übersetzen tu ich es aber nicht, die Jungs vom NSA kriegen genug Geld, dann können sie auch was arbeiten!

    Man sieht, hört, liest sich!

Einen Kommentar schreiben

Html wird rausgefiltert, aber Du kannst Textile verwenden.

Copyright © 2024 by: Eibensang • Template by: BlogPimp Lizenz: Creativ Commens BY-NC-SA.