Eibensang

Vom Wenden der Sonne

Es hat geklappt: Die Sonne ist mal wieder gewendet. Mein Schwesterherz zelebrierte das, nach langer Zeit mal wieder im Vanahof, mit einem Schwitzhüttchen im Garten – derweil drei Singvøgel sich im Studio die Haare rauften bei einer Studiosession unter Zeitdruck, technische Ausfälle kommen bei solcher Gelegenheit gern dazu. Aber am Ende war das Lied im Kasten, und klang durchaus so, als wär viel länger dran gearbeitet worden.

Hab ich eine Sommersonnenwende je feierlich begangen? Biertrinken bei Gesinnungsfreunden in deren Steinkreis war glaub ich das, was dem am nächsten kam – ist aber schon wieder Ewigkeiten her (und stand eh nicht im Verdacht verschärfter Ritualistik;-). In den Jahren davor war ich meist als Schauspieler auf Tour – mehr als kurz mal unter ein paar Dorfbäumen ausspannen ging da (hochsaisonsbedingt) auch nicht.

Mit Jul – dem winterlichen Sonnwend-Gegenstück – ist das ganz was anderes: Da freut man sich an der Wiedergeburt der Sonne, deren Segen man ohne zusätzlichen Aufwand zu der Zeit gar nicht spürt, und versucht im kuscheligen Freundeskreis mit viel Met zu vergessen, dass die richtig klirrkalten Monde erst noch bevorstehen (und so oft nicht enden mögen, in Breiten wie diesen).

Im Sommer hab ich eigentlich keine Sorgen – schließlich bin ich keine Koralle oder Schildkröte im Golf von Mexiko. Ausführlichere Nachrichten von dort erscheinen hier – bezeichnenderweise – unter den Rubriken „Wirtschaft“, „Wissenschaft“ oder gleich „Technik“. Sieht fast so aus, als müsse ein schmutziger Weltkonzern ein paar schmutzige Dollars abdrücken für wirtschaftliche Schäden: Die Ökonomie kreist mal wieder um sich selbst. Was sich nicht in Zahlen fassen lässt, bleibt außerhalb bewusster Wahrnehmung. Unser Planet. Das Leben. Und der Zusammenhang dieser beiden Komponenten: die Qualität unserer Tage und Nächte auf dieser malträtierten Göttin.

Dem BP-Häuptling Tony Hayward möchte man einen ordentlichen Schuss Maschinenöl in die Suppe spritzen: Es ist doch so viel Suppe und so wenig Öl – das wirst du doch noch löffeln können, alter Stinkstiefel?! Nichts aber bringt die Giftschwaden aus dem Wasser, und die schwarze Milch des Todes sprudelt, sprudelt und sprudelt: Rohrbruch der Zivi’sation. Tut mir leid, Korallen. Entschuldigung, Schildkröte. Wir wollten es nur warm haben. Und ein bisschen Auto fahren. Vielleicht ein bisschen viel. Wir haben es halt gern quadratisch, glatt und glänzend. Wir können nicht mehr viel anfangen mit dem, was wächst, blüht und vergeht. Bei uns wachsen nur Neurosen. Und Metastasen. Die vergehen nicht, sondern bringen uns um. Deshalb sind wir höchstens noch für Wirtschaftswachstum. Denn das machen wir selber – auch wenn wir es genausowenig beherrschen wie irgendetwas anderes. Das Kreuchen und Fleuchen der vielen Wabbler und Wubbler, von denen wir kaum die Namen kennen, ist uns bestenfalls noch Bildschirmschoner-Deko bei der TV-Naturdoku zur Freizeitentspannung im zahlenfixierten B. Wusstsein. Wieviel Profit hast du heute? Was bist du wert auf dem Markt? Was bringt mir das, über so etwas – oder überhaupt irgendwas – nachzudenken? It’s the economy, stupid. ZÄHLT sonst irgend was?

Das ist der wahre Mittelaltermarkt: Es geht immer um Heller und Pfennig. Bloß was daran „global“ sein soll, kapier‘ ich nicht. Aber „mittelalterlich“ isses weißgott. DAS kapier‘ ich. Es ist ein Rückschritt in ein Finsteres Zeitalter, und wir sind längst mittendrin. Aufklärung, Menschenrechte? Schnee von gestern. Geschmolzen in den Tiegeln der Win-Wins. China, eine gigantische Diktatur, funktioniert. Sieht man doch!

Die Sonne ist gewendet, aber ich weiß nicht, ob es reicht. Sollten die Sinne nicht nachziehen? Sollten die sich nicht mitwenden? Ich habe meine angewiesen, sich zu drehen. Win-Win sei auf meiner Seite. Ich zähle jetzt meine Erfolge, und mehr noch: Ich trainiere jetzt das, was ich schon gut kann. Und ich lobe: das, was meine Lieben und Freunde gut können. Ich habe da was aufzuholen. Aber ich bin gut ausgestattet – von den Großen, den Göttinnen und Göttern. Da ist ja Potential – mehr als manche haben, mancher hat. Sonst wäre ich nicht so alt geworden. Jetzt bohre ICH nach Öl – dem, was die Großen mir gaben, mir zugedachten, von Anfang an. Jetzt endlich.

Die Sonne wenden ist leicht. Vielleicht tut sie das gar von selber (blasphemischer Gedanke – aber meine Großen erlauben auch solche, und grad)! Aber ich binde mein Ich, meine Gedanken und Gefühle an diesen Stern, diese – mir einzig bekannte und vertraute – Sonne: meiner Göttin… eine von etlichen. Und ich sing ihr ein Lied, einen Not-Not-Notwende-Sang: Wende meinen Sinn, Große, Herrliche, Wunderbare, Unersetzliche! Lass mich lernen – in einem Alter, da andere der Pension entgegenzudämmern versuchen und sonst fast nichts mehr wollen. Leih mir dein Strahlen, deine Urkraft, dein Lachen, deine Macht! Lass mich dich vertreten – vor denen, die deine Wärme nicht mehr spüren. Ich bin dein Sohn, bin ich’s nicht? Lass meine Augen leuchten – denn dies übertrifft alleweil alle Argumente! Ich borge diese Kraft von dir, und ich schwöre, ich geb sie dir zurück – denn ich bin dein Diener, dein Werkzeug, dein Krieger. Wir sind im Austausch, wir haben einen Bund, ich unterschrieb ihn mit Blut und Leben, du mit Feuer und Schicksal, Erde, Wasser und Luft – und Blumen am Wegrand, oder Korallen am Rande meines B.-Wusstseins. Meiner Wah-Nehmung.

Hey, Schildkröte. Es geht ja um dich. Wir sind eins. Dein Panzer, deine Falten, dein Alter, deine Bewegungen, deine Gewissheiten – alles mein Unterrichtsstoff. Du trinkst schwarze Milch grad. Die schwarze Milch der Frühe, und du trinkst und trinkst. Ich stamme von u.a. einem Menschen ab, der etwas Ähnliches mit verursachte. Bitte. Berühr mich mit deiner Flosse. Ich streichle deinen Panzer. Deinen harten Mund. Ich bin du, Mädel, du bist ich. Wir gehören einander. Ich bin als Mensch geboren, du als Schildkröte. Mir geht’s hier um die Gemeinsamkeiten. Deine Pein ist meine – deine Freude auch. Unser Sehnen unterscheidet sich nicht. Führ mich zu den Korallen. Und dort, während wir mit den letzten flüstern, küssen wir einander. Küssen ist immer gut. Ich übertrage dir meinen Intellekt, du mir deine Erfahrungen – die ich nötiger habe als alles andere. Du wirst den Korallen erklären, warum wir Menschen nicht anders konnten bzw. nicht anders taten als wir tun. Ich aber werde zurück zu den Meinigen gehen, und dort die Angelegenheiten deines Volkes vertreten. Mit einem Panzer auf dem Rücken, langsamen Bewegungen, und tiefen Falten am Hals. Die schwarze Milch aber spucken wir aus: bis sie selber drin ersaufen, die Kapitalisten. Was Kapitalisten sind? Hey, Liebe – ich kann es dir nicht erklären. Es sind Zweibeiner, die jeden Kontakt zur Mutter verloren haben… und die sich mit Zahlen panzern, bis sie sonst nichts mehr kennen. Es ist mein Volk. Zerfressen von Einsamkeit – anders als ich. Verkrebst vor Neid aufeinander – anders als wir. Baut dein Volk auch manchmal Scheiße – irgendeine? Oder ist das Menschendomäne? Danke für deine Flosse. Sie tut so gut. Hier ist meine Hand, Freundin. Schwimm mit mir. Ich bin dein Bruder. Ich komme von der Oberfläche, von den Oberflächlichen. Aber gewinne an Tiefe. Dank dir. Siehst du das Schillern, durch die wabernden Schwaden? Das sind die Korallen. Wir sind jetzt ganz nah. Dies ist für immer.

13 Reaktionen zu “Vom Wenden der Sonne”

  1. Joy

    Wahr und so wunder, wunderschoen. Hab vielen Dank fuers mitschwimmem duerfen!

  2. morgana

    eibensang….danke für deine treffenden, traurigen worte die du für diesen schrecklichen super-gau gefunden hast…

  3. wirrlicht

    gefällt!

    du siehst, ich bin kein langeschreiber, und oft lese ich lange texte im netz nicht. erst recht nicht mit viel aufmerksamkeit.

    dieser hingegen hat gefallen 🙂

  4. Karan

    Hab‘ gestern schon beim Lesen total geheult und heute gleich noch mal. Boah… 😉

  5. MartinM

    Sorry, dass ich erst jetzt, Tage nachdem ich ihn das erste Mal las, einen Kommentar zu Deinem wichtigen und richtigen Beitrag mache. Denn ich hätte viel dazu zu schreiben.
    Aber mir ist nicht zum Heulen zumute. Offensichtlich bin ich in dieser Hinsicht längst tränenleer.
    Gefühle: Wut, Hass, sehr schlechtes Gewissen. Auch Hass auf mich selbst. (Selbsthass – die einzige ethisch einwandfreie Form des Hasses. Mit jedem Finger, mit dem ich auf die Ölmultis, die korrupten Regierungen, den herrschenden Ökonomsmus, die sich willig zum Nutzmenschen dedradieren lassenden Mitmenschen zeigen, da zeigen drei Finger auf mich. Denn ich bin Teil der Problems, winziger Bestandteil einer gewaltigen Wirtschaftssystemes, dass die Erde und alles Leben auf ihr bedroht, und das zudem alles, was schön, liebeswert, schöpferisch, originell ist, zur Wahre macht. )
    Was tun? Ich fühle mich verplichtet – im Namen der Menschheit, im Namen der Erde, der Tiere, der Pflanzenb, im Namen der Götter – den Zeigefinger ausgestreckt zu halten.
    Aber – was mache ich mit den drei Fingern, die auf mich zeigen? Ich werde sie wohl abhacken müssen, um meine moralische Integrität und meine Glaubwürdigkeit aufrecht erhalten zu können.

    Ich kann gut verstehen, dass man mich verachtet. Für meinen Lebensstil, für meine Weltfremdheit, für mein Duckmäusertum, dafür, dass ich ein Schmarozer bin – und für mein verdammtes Selbstmitleid.

    Ich halte nichts davon, mir mit einem „ökologischen Lebensstil“ den „Ablass von Umweltsünden“ zu erkaufen. Nicht nur, weil ich da Geld nicht habe. (Dass ich kein Auto fahre, liegt ja vor allem daran, dass mir das Geld dazu fehlt.)

    Was also tun? Ich komme mehr und mehr zu dem Schluss, dass, wenn ich ein sinnloses Leben lebe, und mein Leben lang nichts produktives geschaffen habe, ich verpflichtet bin, wenigstens einen sinnvollen Tod zu sterben.
    Das ist aber nicht so ganz einfach. Selbstmordattentäter machen es sich zu einfach. Und ich will kein Märtyrer sein.
    Ich will, dass man mich, die unwichtige Person MartinM, vergisst. Aber ich will, dass mein Werke leben! Zum Nutzen der menschlichen Zivilisation. Und zum Nutzen der Erde und der Tiere und der Pflanzen.
    Das Dumme ist nur: Ich Arschloch habe es bisher nicht geschafft, etwas zu schaffen, das diesen Ansprüchen auch nur im Geringsten genügt.
    Ich muss besser werden. Und mich von so romantischen schönen Träumen lösen, wie dem, das letzte Wort eines großartigen Werkes, eines Buches, das die Welt wirklich baucht, zu schreiben – und dann vor Entkraftung zu sterben. Romantischer Unfug. Es wird mir wohl nicht vergönnt sein, im beruhigenden Bewusstsein, meine Pflicht getan zu haben, in den Sielen zu sterben.

    Verdammt, was soll ich tun?!? Beten und Bitten ist so hilflos. Spenden kann ich nichts, helfen kann ich wenig.

    Scheiß Selbstmitleid. Mein großter Fehler: ich bekomme mich nicht in den Griff.
    Andere können es ja auch.

    Vorstellungen,

  6. Ringlord

    Genial!

  7. Karan

    Da ergänze ich mal, was ich heute bei Luisa Francia fand:

    „dein unglück oder meins wird die probleme der welt sicher nicht lösen, kann aber jede menge probleme in der unmittelbaren umgebung erzeugen während mein glücklichsein oder deins ansteckend ist und wenigstens manche der probleme um dich oder mich herum lösen kann.“

    😉

  8. MartinM

    Karan, ich fürchte, Luisa Franca hat Unrecht. Sicher wird persönliches Unglück die Probleme der Welt nicht lösen können, aber – so etwas wie ein Recht auf Glücklichsein gibt es nicht. Es ist egal, wie ich mich fühle, es ist wichtig, dass ich Probleme bewältigte oder wenigstens keine schaffe. Vor allem bin ich der Ansicht, dass Glück – und auch nur Zufriedenheit – hart erarbeitet sein muss, damit es nicht den Keim der Missgunst und damit neue Probleme in sich trägt.

  9. Sven

    Also ich kann problemlos auch glücklich sein, ohne „was dafür gearbeitet“ zu haben. Überhaupt kein Problem. U.U. ists eines, sich das zugestehen zu können. Das aber ist kein Problem fehlenden Glücks sondern mangelnden (aber auch: erlernbaren/erwerbbaren) Vermögens 😉 .

    Und dass eigenes Glück auch welches bei anderen „anstecken“ kann kann ich ebenfalls aus Erfahrung bestätigen. Solches ansteckende glücklich sein hat IMO einen großen Anteil an dem, was die Altvorderen einst den „Heilsbereich“ nannten.

  10. MartinM

    Ich merke, dass eher das Unglück anderer ansteckt – wenn es gut kommt, erwächst daraus Hilfbereitschaft, wenn es schlecht kommt, den Drang zu „Bemitleiden“ – bemitleiden macht den anderen zum Objekt macht und in dem ich mich erhohe, in dem ich andere erniedrige.
    Der Ölteppich von mitlerweile kontinentalem Ausmaß erweckt in mir den Wunsch, helfend zu handeln – und es macht mich unglücklich, hilflos (real oder auch „nur“ subjektiv) zu sein. Das ist ja der Grund, wieso ich unzufrieden bin – das Gefühl der Hilflosigkeit (das, wie ich einräume, erlernt sein kann).
    Heil entsteht aus der gegenseitigen Hilfe.

  11. Baschtel

    Wundervoll Duke ich liebe deine Art zu schreiben. Ich hab Rotz und Wasser geheult.

    @MartinM
    Ähm ich hab mal ne Frage zu deiner Selbstbetrachtung . Kann es sein das wir zwei irgendwie (seelen)verwand sind?
    Mein erster Gedanke war , gute Götter das könnte von mir stammen . Auch wenn ich mich nicht so gut ausdrücken kann wie du.
    Alles gute wünsch ich dir.

    @ die Singfoegel danke für die großartige Mucke . Alles gute für die Zukunft.

  12. Dee

    weils dazu paßt

    Traurige Grüße
    Dee

  13. Nightingale

    @MartinM
    Den Vollpfosten die Dir DIE Scheiße eingetrichtert haben gehört sie um die Ohren gehaut und dreimal drauf gespuckt. Waah.

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