Eibensang

Music and the City – die MegaMonsterSoap

Neulich geriet ich mal wieder ins Paralleluniversum. Da ist alles wie hier, nur mit leicht verschobenen Ebenen, man bemerkt den Switch kaum und passt sich ergo automatisch an. Kommt mein fiktiver Freund Emil zu mir, leichenblass, unterkokst und völlig verheult. Emil ist erfolgreicher Bassist der unterregional bekannten Band „Die rüden Röchler“ – in Zeiten wie diesen an und pfirsich beneidbar. Wie siehst’n du aus, frag ich. Blubbert er: Mir ist ja so eine Scheiße passiert, das glaubst du nich‘. Na was’n los, setz dich hin, nimm dir’n Koks, erzähl mal, sag ich. Sie ham mich rausgeschmissen, klagt er, einfach rausgeschmissen!
Seine Augen sind schreckgeweitet. Ich mime den Ruhigen, spritze mir noch eine Prise Fickdichplus in den Absinth und gebe Emil einen tiefen Freundschaftsblick. Schieß los, heißt das unter Männern.
Ich weiß schon, beginnt Emil, dass ich selber schuld bin. Aber dasse mir nichtmal eine Chance mehr geben…! Es war doch nur einmal – ein einziges Mal!

Dankbar nimmt der Freund das rosa Herzchentaschentuch entgegen, das mir beim letzten Gig ein Groupie auf die Bühne geworfen hatte, und schneuzt sich geräuschvoll hinein. Fast ahne ich, was kommt. Denn Emil ist – sagen wir es so -nie ein „Kind von Traurigkeit“ gewesen. Als er vor etwa drei Jahren bei den Röchlern einstieg, waren die Tratschwogen wie ein Tsunami durch die Szene gegangen: Was – der Emil? Bei den Röchlern? Na, die werden sich umschauen, wen sie sich da angelacht haben! – So ungefähr der allgemeine Tenor. Na hey, wartet doch mal ab, hatte ich damals den Freund in Schutz genommen, er hat sich halt entschieden! Aber alle hatten abgewunken: Der hält das doch nie durch – der doch nicht! – Als ob sowas von vornherein immer klar wäre. Argumente hatte ich ja auch keine – aber zu einem Freund muss man halten, auch wenn er nicht perfekt ist und seine Fehler hat. Und in der Folgezeit hatte ich – und nicht nur ich, wohlgemerkt – den Eindruck bekommen, dass dem „wilden Emil“, wie ihn viele hinter vorgehaltener Hand nannten, das Engagement gut tat. Die Röchler – mit Emil am Bass – bezogen einen neuen Proberaum (gleich neben uns, den „Hart-Besaiteten“), übten fleißig, spielten Gigs, feierten anständige Orgien nach jedem Auftritt, und weil dadurch auch immer wieder neue Groupies ins Haus kamen, teilten wir unseren Absinth mit den Nachbarn und manchmal sogar Met. Es kam zu regem Austausch. Man spielte einander Aufnahmen und neue Songs vor, lieh sich gegenseitig gelegentlich Kondome und alles gedieh prächtig.

Natürlich schlief die Szene nicht. Gerade auf Festivals, wo halt zwangsläufig eine Band nach der andern spielt (wie soll’s aber sonst gehen? Solang man aufpasst und sich alle zivilisiert verhalten, geht das schon. Muss ja!), wurden gerade die Röchler klammheimlich beäugt – besonders in den Umbaupausen und backstage. Das lag natürlich an Emil und seinem zweifelhaften Ruf. Doch selbst die bösesten Tratschmäuler fanden keine Nahrung. Wenn die Röchler ihre letzte Zugabe geröchelt hatten, packte auch Emil seelenruhig seinen Bass in den Koffer, rollte noch ein paar Kabel auf, steckte die ihm zugeflogenen Herzchentaschentücher ein – und in der Garderobe? Auch dort kein Anlass zu Tadel!

Naja: Kurt, mein Drummer, wollte gehört haben, dass Emil „zufällig“ im selben Moment, als ich auf dem Sofa mein Gitarrenriff zu „Ist der Missionar schon gar“ anstimmte, hinten im Eck mit seinem Bass stand und, so Kurt, angeblich den „passenden Grundton“ dazu zupfte… Aber jeder weiß, dass Kurt völlig hysterisch ist, und ich hatte ihn nach Kräften beschwichtigt: He – das war Zufall, und außerdem hab ich gar nicht gespielt, sondern bloß die Gitarre gestimmt. Und Emil hat halt gleichzeitig seinen Bass gestimmt – nu krieg dich mal wieder ein, Kurt. Ich bin ein Hart-Besaiteter und werde es auch bleiben. Mensch! Meinste, ich will was von den Röchlern? – Nöna, hatte Kurt gegrummelt, dir vertraue ich schon. Aber der da – womit er Emil meinte – der soll ma‘ nur aufpassen! Ich höre alles!

– Pfuh. Es war nochmal gut ausgegangen. Kurt hatte sich dann wieder beruhigt. Mein Drummer halt! Seinen Vorgänger – ich will den Namen gar nicht nennen – hatten wir rausschmeißen müssen, weil mit dem gar nicht zu reden war. Ewig hatte der sich eingebildet, die Kati von „Beuse nerveuse“, einer damals mit uns im Package tourenden deutschfranzösischen Leichtmetall-Band, würde mir „heimlich MP3-Demo-Songs schicken“. Völlig hirnrissiger Verdacht – bloß weil ich eine Sexaffäre mit Kati hatte, schickte die mir noch lang keine MP3, die war völlig integer, und ihrer Band treu wie nur was. Ich steh außerdem nicht auf Leichtmetall, sondern Hartholz – das wusste die ganze Welt, also auch Kati. Und Emil ist, wie gesagt, mein Freund. Es war nie was zwischen uns. Klar – einmal, aber das war vor Jahren – hatte er mir (unter drei Augen, mein eines war grad zu) mal ein zweideutiges Kompliment gemacht: Die Gitarre von „Ist der Missionar schon gar“ – die sei schon „sehr gut“, da sei er, Emil, „fast neidisch“ drauf. Und mir war nicht entgangen, wie er seine Hand auf den Basssaiten hatte dabei, und ja, er tat so, wie wenn er das Riff gleich spielen wolle… fast unhörbar zitterte ein A-Dur – aber zum Teufel, tausende Songs sind in A-Dur, und außerdem spielte er es nicht wirklich, sein Bass war gar nicht angeschlossen gewesen und ich hatte meine Gitarre gar nicht umgehabt in dem Moment. Und Kurt war auch nicht da – vielleicht besser so, der hätte das womöglich in den falschen Hals gekriegt. Schon okay, hatte ich Emil zugezwinkert – und brauchte gar nicht zu sagen, dass wir „lieber gute Freunde bleiben“ wollen – der heikle Moment ging vorüber, und es war wirklich kein Session-Versuch gewesen, also in meinen Augen nicht. Ich war glücklich mit Hart-Besaitet, und Emil kurz darauf eh mit den Röchlern liiert, und alles schien gut.

Und jetzt das. Wie ein Häufchen Elend sitzt Emil vor mir, und beichtet alles. Ich ziehe an meiner Trigarette, blase den Rauch Richtung Traumfänger, und lausche dem stockenden, immer wieder von Schluchzern unterbrochenen Geständnis. Einem Freund soll man zuhören, auch wenn man weiß, was kommt. Und grad wenn er Scheiß gebaut hat! Wir sind doch alles nur Menschen. Die einen halt so, die andern so. Während ich mich innerlich aale im beruhigenden Bewusstsein, der treuesten Band der Welt anzugehören, lausche ich mit freundschaftlicher Sorgenmiene dem – irgendwie schon so oft gehörten – Jammer: der mich da in Emils Worten anspült. Sie perlen – er steckt tief in der Scheiße, während meine Verhältnisse geordnet sind und bleiben – sauber ab. Der arme Kerl!

Ja, da war diese eine Band gewesen, eine Jazz-Formation aus Trostlosingen, auf dem „Freie Musik Festival“ – auf dem Die rüden Röchler gar nicht gespielt hatten (logisch nicht: die Einstellung der Röchler zu „freier Musik“ war bekannt!). Und er, Emil, sei nur „kurz vorbeigekommen“, um seine „Kabeltasche abzuholen“, die er am Vorabend dort versehentlich liegengelassen habe. Naja, und weil sie nicht am erwarteten Platz lag, habe er sie halt suchen müssen. Währenddessen hätten die Jazzer – es war vor deren Gig – ihren Soundcheck beendet und „noch ein bisschen gejammt“.

Ich nicke weise. Emil kippt den Absinth mit großen Schlucken, merkt gar nicht, dass er plötzlich nach meinem Glas greift, mit dem Fickdichplus drin – egal, ich mache ihn nicht drauf aufmerksam, will seinen Fluss nicht unterbrechen, jetzt, wo er so schön drin ist. Der arme Kerl. Der wilde Emil. Jaja. Zu spät quälte ihn jetzt sein schlechtes Gewissen.

Und diese Jazzer – werfe ich kurz ein – hatten die keinen Bassisten?

Man ist ja nicht blöd – und mir längst klar, worauf’s gleich hinauslaufen musste. Mich interessiert nur das Wie. Man hört’s ja ganz gern – vor allem, wenn man selbst unbetroffen ist von sowas. Ich blase Rauch hoch, der von der Decke baumelnde Traumfänger zittert leicht. Emil auch.

Doch, doch, sagt er, klar hatten die einen. Aber das isso eine multiple Gruppe – also der spielt auch Violine, und als ich meine Tasche suchte, geigte er gerade. Ich hab gar nicht drauf geachtet – ich schwör dir, ich hatt‘ überhaupt nix Böses im Sinn… Mann, meine Tasche, dachte ich nur, wo ist die hin? Backstage war abgesperrt, also musste sie irgendwo auf der Bühne sein… Naja, und wie ich so herumkrame, bin ich an den Bassständer von denen gestoßen – verdammt Mann! Der Bass wär umgefallen, wenn ich ihn nicht aufgefangen hätte! Ein richtig teures Instrument war das – ein Warmwick 69 XL!

Und natürlich war das Ding angeschlossen, rate ich: lächelnd, mit einem wohldosierten Schuss Ironie und Mitleid im verschmitzten Blick. Emil nickt schluckend.

Klar, Mann, was dachtest du denn. Ich steh da, völlig unschuldig, mit diesem Bass in der Hand – denke mir, na Scheiße aber auch… Aber da hört die Band grad auf, der Drummer grinst mich an, und die Sängerin dreht sich um: auch sie total freundlich, richtig einladend hat die geguckt. „Na, was spiel’mer denn jetzt?“ hat sie gefragt. Die andern natürlich – nicht mich! Und wie ich dem Bassisten seinen Bass reichen will – du musst mir glauben, Mann, ich wollt‘ ihm das Ding grad geben – nicht dass der denkt, ich will ihn ausbooten -verfluchte Scheiße, ich WOLLT‘ die Jazzer nicht anbaggern, so bin ich nicht mehr, ich will doch keinen Ärger mit einem wildfremden Bassisten… HAB doch selber eine Band! Hab ich gedacht! Hab ich denen auch sofort gesagt – ich schwör’s! Da HATTE ich ja auch noch eine! Buhuu!

Emil heult, Emil schnieft, sein Fuß kickt das Glas um, der Absinth sickert in den Teppich, ich schweige: Emil ist voll im Fluss, es sprudelt aus ihm heraus – und, verdammt noch mal, ich glaube ihm sogar. Er ist ehrlich verzweifelt. Fährt fort: im Stakkato jetzt fast.

Und wie ich noch denke, blubbert Emil weiter, wie wind‘ ich mich jetzt heraus, lacht mich der Basser von denen geradheraus an! Und weißt du, was er sagt? „Ich spiel grad Violine!“ grinst er vielsagend. Ich schau ihn an – schau zum Drummer, zum Gitarristen, zum Organisten, zur Sängerin – alle schauen mich an… und sie sagt: „Na…?“ und da sagt der Drummer zu mir: „Na komm. Was ist denn dabei. Ist doch nur ’ne Session.“
Ey sorry, sag ich noch, ich will ehrlich nix von euch – nicht, dass ihr mich falsch versteht. Ich hab eine Band, ich bin in festen Händen undsoweiter. Da lächelt die Sängerin: „Hey, chill down, musst ja nicht gleich auf Tournee gehen mit uns… Wir sehen das nicht so eng.“ Und der Drummer grinst: „Ist doch ein Festival für Freie Musik, oder?“ – „Ich bin kein Flittchen!“ sag ich denen noch – da legt mir der Basser die Hand auf die Schulter – während ich seinen Bass umhängen hab, der wär mir ja sonst runtergefallen, verstehste – und raunt ganz ruhig und ernst: „Wir haben da kein Problem mit.“ Ich wollt’s ned glauben, guck ihn an, aber er betont noch mal extra: „ICH hab da KEIN Problem.“ Klemmt sich die Geige unters Kinn und…

Der Rest von Emils Blubberei geht in einer Tränenplosion unter. Ich krame in meinen Taschen, ob ich noch ein Herzchentuch finde – aber es war mein einziges, die Zeiten sind hart, jeder schaut wo er bleibt, doch Emil zieht jetzt ein eigenes aus dem Ärmel und wischt sich den Rotz ab. Ich drücke die Trigarette mit dem Absatz in den Teppich, der eh im Eimer ist, und frage den Freund: noch’n Absi? Kannst mein letztes Fickdichplus haben… Aber Emil hört mir gar nicht zu.

Weißt du was sie anstimmten, jault er auf, weißt du das? „Ist der Missionar schon gar“! Dein Lied!

Unwillkürlich hat mich der Freund an den Schultern gepackt und schüttelt mich – als ob ich das Problem hätte und nicht er. Natürlich finde ich es in Ordnung, auch mal Songs anderer Leute zu spielen – solange die Bands dabei unter sich bleiben, seh ich das locker. Wir leben ja nicht im Mittelalter. Was man bei einem „Freie Musik Festival“ allerdings nie so sicher sagen kann. Dort tauchten ja auch immer mal wieder Musiker auf, die so ein angestaubtes Hippie-Motto ernst nahmen – und nicht immer wissen, wo die Grenze ist zwischen – naja, sagen wir, Flirt und Anstand. Hartholzer wie wir blieben solchen Events fern. Ich sehe sowas ja noch mit einer gewissen Gelassenheit – anders als mein Drummer Kurt, der meint, dort spiele nach dem Gig „jeder mit jedem“. Was so auch wieder nicht stimmt – also jedenfalls nicht mit organisiertem Musikertausch, der vielleicht den kurzen Kick bringt – dem, der’s braucht – aber am Ende nur zu bitteren Bandauflösungen führt. Kein Mensch hat’s dann gewollt… Aber sowas weiß man ja vorher – zumindest wenn man kein Teenie mehr ist und etwas Erfahrung hat. Als gestandener Musiker steckt man nicht mehr sein Kabel mal in den, mal in andere Verstärker – oder lässt irgendwelche wildfremden Mucker, die grad notengeil sind (und eh nur das eine wollen und dann tschüs…), in den eigenen Amp einpluggen. Ist ja geradezu unappetitlich, irgendwie – rein-raus, rein-raus – Klinke in die Buchse, und dann gleich aufgedreht und losgeschrammelt, ohne dass man sich wirklich kennt, geschweige denn ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. In meiner Jugend war ich ja auch kein Engel, und hab schonmal die eine oder andere Band gefragt, ob ich vielleicht mal ein paar Takte mit meiner Gitarre… aber nie, wenn die schon einen Gitarristen hatten! Ich dräng mich nicht in eine bestehende Band! Schon gar nicht für eine flüchtige Session! Bei meiner Musikerehre!

Die Jazzer, frage ich ungläubig, spielten den „Missionar“?

Verjazzt natürlich, sagt Emil, aber – ja, genau! Verstehst du! Da konnte ich nicht mehr anders! Es war ein Unfall! Ein Versehen!

Eine Ladung Luft entweicht meinen Lungen, die – zum Höhepunkt der Beichte – kurz zu atmen aufgehört hatten. Jazz! höre ich mich sagen. Ausgerechnet Jazz! Ich sehe Emil an. Du und Jazz? Echt starker Tobak.

Ich weiß, ich bin ein Schwein, sagt Emil. Jenseits der Katharsis wirkt er jetzt nur noch niedergeschlagen.

Und du hast Bass gespielt, während die den „Missionar“ verjazzten, vergewissere ich mich – doch leicht geschockt, aber äußerlich ganz ruhig – der pikanten Details.

Nur ein paar Takte! Nur bis zur Zeile „Sag, ist der Missionar schon gar…“! Den Refrain „…na, das ist ja wunderbar!“ schon nicht mehr! Es ist mir einfach passiert! Hab gleich wieder abgebrochen! schwört Emil. Er hat riesige Augen jetzt. Angst, nackte Angst. Ich zünde mir noch eine Garette an.

Und? Wer hat’s gesehen? frage ich.

Keine Ahnung, murmelt er. Hab nicht gemerkt, dass schon Einlass war. Ein Fan! Handyfoto. Facebook. Peng.

Oh Scheiße, sage ich. Und dann?

Naja, kannst dir ja denken. Ich komm am nächsten Tag zur Probe – Röchler alle aufm Sofa, gucken wie’s Verfassungsgericht persönlich. Mein Verstärker steht schon abgebaut im Flur, Bass daneben. Ich hab alles gestanden, hab’s erklären wollen, hab mich tausendmal entschuldigt, hab gefleht, geschworen dass es bestimmt nie wieder vorkommt – umsonst. Daniela warf mir sogar vor, ich hätte den ganzen Gig mit denen gespielt – weil auf dem Scheißfoto auch Leute vorm Bühnenrand zu sehen waren, die sie offenbar für Publikum hielt: worauf sie mich noch einen „Exhibitionisten“ nannte. Und dass sie’s gleich gewusst hätte, dass ich einer sei, der „nur wahllos in der Gegend herumzupft“ – aber auf sie hätte ja, als ich damals einstieg, keiner gehört.

Naja, lächle ich. Ist jetzt der „wilde Emil“ wieder da? Der Musikprotz, der „nur mit den Fingern“ denkt?

Hör auf, wehrt sich Emil verletzt, du weißt, dass ich kein Polymucker mehr bin! Seit über drei Jahren nicht mehr! Ich war den Röchlern treu! Hab nur noch für sie gespielt. Und keine andere Band auch nur angeschaut! Obwohl da tolle Bands waren, sag ich dir, echt geile Gruppen dabei. Und ich hab mehr als ein Angebot bekommen, sag ich dir – alles abgelehnt. Keine einzige Session, keinen Takt, nichts – ich geh nicht mehr fremd, für mich gibt’s nur noch Die rüden Röchler und sonst niemanden: Das hab ich allen gesagt! Sogar Kati!

Was? entfährt es mir abrupt. Welcher Kati?

Na, diese kleine Brünette von „Beuse nerveuse“ – mit der du früher immer im Bett warst…
informiert Emil mich treuherzig.

Die wollte Session machen mit dir? schnappe ich – etwas zu scharf im Tonfall.

Nein, nein, wo denkst du hin – ich spiel doch kein Leichtmetall. Nee – mit der hab ich nur geschlafen.

Ach so, sage ich. Beruhigt lehne ich mich wieder in den Sessel.

Außerdem, sagt Emil, wär die nix für mich, selbst wenn ihr Sound mein Typ wär – die musiziert doch mit jedem, der nicht bis Drei den Stecker aus der Dose zieht. Eine richtige Mutte!

Stimmt schon, brumme ich zustimmend. Mich hat sie auch mal angebaggert, bis unser Drummer ganz nervös wurde und wir den „Beuse nerveuse“ dann vorsichtshalber das Package kündigten – bevor noch was passiert wäre. Aber im Bett war sie spitze!

Was habt ihr denn alles gevögelt? fragt Emil – offenbar froh um die Ablenkung ins Harmlose.

Ah, richtig gute Sachen, erinnere ich mich. Anal war nicht so ihr Ding – „das kannst du mit Irmi machen!“ hat sie immer gelacht, das war die dicke Cellistin von „Heast, Oida“, dieser irre geilen Hartholz-Weichschaum-Fusion-Formation mit den zwei Trompetern, weißt du noch – aber ihr Fellatio war super. Kurt, unser Drummer, hat das gar nicht glauben wollen – aber dann hab ich sie mal mitgenommen zu einem Abendessen bei ihm und Tobi, seiner damaligen Frau. Da haben wir anschließend noch ein bisschen geschmust. Tobi hat mir zeigen wollen, wie Kurt sie immer reitet und wollte das auch so von mir, aber dann musste sie ständig lachen, weil mein langes Haar ihr ins Gesicht hing und sie kitzelte. Also machten wir 69, das ging dann besser. Und Kati hat Kurt geblasen, bis er abging wie ein Raketchen. Wow, wie machst du das bloß, hat Tobi wissen wollen, ich krieg das nie so hin bei dem – und Kati hat’s ihr dann gezeigt, an mir, und dann noch mal an Kurt, als der wieder konnte… Aber Tobi kann die Lippen nicht so feste zudrücken, und mir kam’s gar nicht, obwohl sie ganz gut fingerte dazu – musst halt mehr üben, hat Kati gemeint. War ein schöner Abend – obwohl es beinah noch in die Hose ging, weil Kurt mal wieder gedacht hat am Schluss, Kati hätte mir eine Demo-CD von sich zugesteckt und mich „zweideutig angelächelt“ dabei. Aber wir konnten ihn beruhigen – es war nämlich eh nur die Programm-CD von „Beuse nerveuse“ gewesen, die mal wieder eine neue Besetzung präsentierte. Neuer Gitarrist drauf – der alte war gegangen, nachdem Kati mal wieder beim Singen mit jemand anders erwischt worden war. Aber ich fand den alten besser. Naja, du kennst Kati. Für eine Session geht die mit jedem in den Proberaum. Die denkt nur mit dem Mund – sollte sich lieber auf Fellatio konzentrieren, da hätten alle was davon. Stattdessen muss sie ständig ihre Band neu formieren – ein Wunder, dass die überhaupt noch Musiker findet in der City.

Eine echte Mutte, nickt Emil, sag ich doch. Die musiziert mit jedem. Die wär sogar mir – in meiner alten Zeit – zu billig gewesen.

Und was jetzt? wechsle ich das Thema.

Emil zuckt mit den Schultern. Weiß nicht, sagt er. Ich geh dann mal.

Bedrückt rappelt er sich auf. Ich begleite ihn zur Tür.

Hey, sag ich. Du findest schon wieder jemand. Aber pass halt mal auf!

Ach, sagt er traurig, ich mit meinem Ruf… Aber ich bin nicht so wie Kati! Du weißt das, Mann – du glaubst mir doch? Es war ein Unfall! Ich mach’s nie wieder…

Hey klar Mann, sag ich. Du bist keine Mutte. Ich kenn dich. Du schaffst das schon.
Kann jedem passieren – ist halt echt dumm gelaufen. Aber schau mal – nimm’s leicht. Jetzt erstmal – biste frei! Kannst mal wieder – rumpluggen, musizieren wode willst – hm?

Aber ich liebe die Röchler! sagt er flehend. Ich bin Hartholzer! Wie du! Wer macht denn noch Hartholz hier in der City? Außer euch, natürlich… Also wenn ihr frei wärt…

Ich schüttel gutmütig den Kopf: Wir haben Ben. Du kennst Ben. Sorry…

Sag nichts zu Kurt, bittet Emil noch, ich meine: dass ich dich grad gefragt habe, ob ihr vielleicht einen Bassisten…?!

Keine Bange, beruhige ich den Ärmsten. Ich weiß doch, wie du’s gemeint hast.

Nachdem ich ihn endlich hinauskomplimentiert habe, komme ich nicht zum Aufräumen, weil mich das Telefon stört.

Ja? – Was? – Sag das nochmal. – Das ist ein Scherz, oder. — Bist du sicher? – Echt? – Diese verdammten Arschlöcher. Das darf doch wohl nicht wahr sein! – Und… ja? Nein? Doch? – Seit wann? – Aha. – Nein, ich kann’s nicht glauben. Wie hundsgemein ist das denn? – Ja, ja, ja… verstehe. Okay. Puh… – Nein, ist schon okay. Komm schon klar. Muss mich erst mal setzen… Nein hey – keine Bange, ich tu mir nichts an! Ich doch nicht.

Mir missrät ein Lachen.

Ja, tschüs. Ja, ich meld mich später. Danke. Hey du: Ich danke dir. Wirklich. Ja.

Mir erstickt die Stimme. Ich lege auf.

Zittere im Sessel. Absinth alle. Teppich kaputt. Fickdichplus alle. Ich alle. Alles alle.

Arschlöcher. Alles Arschlöcher außer den Rolling Stones.

Hart-Besaitet! MEINE Leute, MEINE EIGENEN Leute sind erwischt worden! Mit einem ANDERN Gitarristen! Hinter meinem Rücken! Diese Schweine! Wie wild stecke ich mir eine Arette, es ist die vorletzte, an – am falschen Ende, Mist – trete das Ding funkenstiebend in den Teppich, schnapp mir’s Handy – SMS an Hart-Besaitet: „Ich weis alles ihr fisen saecke. Es ist aus! :-(“ – und twittere noch „fickt euch ihr stinkstiefel, gitarrist betrügen #hart-besaitet #karriereknik“ – dann schmeiß ich die Apparate hochbogig an die Wand, dass es scheppert, der Traumfänger geht gleich mit ab.

Was soll ich jetzt machen? Eine neue Band gründen? Wie denn? Mit Kati vielleicht? Soweit kommt’s noch! Und Emil? Na, der wird sich freuen.

So schnell kann’s gehen. Ich krame in der fast leeren Schachtel, zerknülle sie halb dabei, bin wie vom Donner gerührt. Emils frühere Worte kommen mir in den Sinn – aus der Zeit, als er noch „bekennender“ Poly-Mucker war: „Manchmal,“ so hatte er damals erzählt, „träume ich von einem Paralleluniversum.“

Was er sich da vorstelle?

„Eigentlich nur, dass es in der Musik geradeso zuginge wie in der Liebe.“ hatte er geflüstert. „Dass man mal eine Session machen kann, ohne die Bands zu gefährden. Dass die eigene nicht gleich denkt, man wolle sie verlassen. Und die andere nicht gleich meint, man buche damit eine Tournee… bis ans Lebensende, oder bis die letzte Platte floppt.“

Wie das denn gehen solle, hatte ich geseufzt. „Ich bleib doch auch Hartholzer,“ meinte er damals, „wenn ich mal Weichholz spiele. Ich meine – nur mal ein bisschen Abwechslung!“
Ah geh, hatte ich ihn fortgenickt, du denkst immer nur an deinen Kick. Denk mal an die Folgen. Was du anderen damit antust.

Im Gehen hatte er noch einen blödsinnigen Vergleich gewagt: „Willst du z.B. jeden Tag Fellatio mit Kati haben? Ich meine, sie macht das spitze. Aber stell dir mal vor: Jedes Mal. Fellatio. Nur Fellatio. Und nur mit Kati. Und wenn du’s einmal anal, vaginal, frugal oder banal mit Irmi machst oder sonstwem – isses aus, oder du kriegst zumindest Riesenärger… So geht’s mir, verstehst du… mit den Bands.“

Das ist doch was anderes, protestierte ich. Musik und Erotik – das kannst du nicht vergleichen. Es geht um Bindungen. Treue. Verantwortung. Es geht um Menschen! Verstehst du, Menschen! Du denkst immer nur an Musik. Ich steh ja auch drauf – wer nicht? Musik ist die schönste Nebensache der Welt – aber doch nicht alles!

Er hatte es nicht kapiert. Jetzt hatte er den Salat. Der Lotterbube. Der haltlose Nimmersatt. Naja. Auch nur ein Mensch. Der eine so, der andere so.

Paralleluniversum. Was für Ideen.

Achtlos lasse ich die zerknüllte Schachtel auf den ruinierten Teppich gleiten.

Und ich?

Zünde mir eine letzte Rette an.

2 Reaktionen zu “Music and the City – die MegaMonsterSoap”

  1. Nachtfalke

    Heh nette Parodie 😉
    Wie kommst du drauf? 🙂

  2. Duke

    Ah, es ist sozusagen mein Lebensthema… 😉 Und da sich das praktisch so verhält, kommen mir auch immer wieder mal theoretische Gedanken dazu.

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