Eibensang

La Monarda

Tagelang 42 Grad im Schatten… nachts noch deutlich über 30. Was wollte ich nicht alles fertigbringen unter den dschungelartigen Ranken von La Monarda – stattdessen hänge höchstens ich selber fertig herum, obwohl ich die Hitze liebe. Aber zum Arbeiten reicht’s nicht mehr so richtig. Der Körper ist damit beschäftigt, sich durch den Tag zu schleppen. Kaum, dass der Kühlschrank es schafft, Bier und Wein zu kühlen. Wasser und Strom – der muss Mengen davon in den Dachbehälter zur Gartenbewässerung pumpen – sind knapp. In dieser südandalusischen Region das trockenste Jahr seit Dekaden – ich vergaß, wie vielen.

Mein doch noch allzu lückenhaftes Englisch kam an seine Grenzen in angeregter Diskussion über deutschtypische Befindlichkeiten und deren historische Hintergründe, was nichtsdestotrotz ausuferte zu einer herrlich erregten gemeinsamen Reflektion europäischer Geschichte bis zurück zum 30jährigen Krieg. Zu fünft waren wir da: ein befreundetes Paar, das mich für einen langen, aber kurzweiligen Abend abschleppte zur Nachbarsfinca einer englischen Künstlerfamilie, deren Mutter und eine ihrer Töchter kennenzulernen ich die unzweifelhafte Ehre hatte. La Castaña, auf hohem Hügel gelegen, mit jenem definitiven Traumhaus von Künstleratelier, in einer filmreifen Landschaft, wo wir drei auf der Terrasse warteten, umschmust von drei ebenso riesigen wie friedfertigen Hunden, einer facebookreifen Jungkatze -und stundenlang bekocht von Mutter und Tochter. Das Mehrgang-Menü hätte, wäre es nicht privat, sondern in einem Gourmetrestaurant serviert worden, Sterne verdient. Wir ließen sie über uns funkeln – während wir uns zusätzlicher und ganz ungeplanter Magie ergaben: Harmlose Fragen, wie sie in jeder beliebigen Small-Talk-Runde stellbar sind, rissen, man weiß nicht wie und warum, persönliche Tiefen auf – und je mehr ich meinem Herzen Luft machte wie sonst nur unter sehr intimen Freunden, stießen die Antworten auf Widerhall und Resonanz von höchstem Niveau. Es lag an der Besetzung: die kultivierte, ebenso schöne wie sympathische alte Dame und ihr geistiger Wildfang von Tochter, der – je mehr ich mich (samt Heidentum und allem Drum und Dran 😉 ) vor meinem persönlichen historischen Hintergrund zu erklären versuchte – das einstige britische Empire demontierte in gnadenloser Leidenschaft: wie ich in Wunden eigener Herkunft bohrend, wie ich aus lauter Liebe zum kritikwürdigen Mutterland. Kein Mea-Culpa-Gejammere, kein Klischeegelalle! Eine Jam-Session direkt aus dem Herzen: je tiefer wir gruben, desto höher der Flug. Bei allen Unterschieden trug uns gemeinsamer Takt: befeuert von jener historisch jungen, aber diesseits von Ragnarök nicht mehr ausrottbaren Idee, die in den Menschenrechten ihren nennbarsten Ausdruck findet.

Und wenn sich deren Mitstreiter/innen treffen, dann geht die Post ab. Der Abschied tat weh und fiel schwer. Ob ich – es ging auf zwei Uhr nachts – nicht doch hier übernachten wolle? Das „You’re very welcome“ der alten Dame – das sie aussprach wie denselben Satz Aragorns bei Ankunft der rettenden Elben im Lord of the Dings 😉 – ließ mein Herz, eh schon weich wie Butter zu jener vorgerückten Stund, schmelzen wie Eiswürfel unter südandalusischer Sonne. Selten habe ich mich so angenommen gefühlt. Was für eine Nacht! Die Tochter offerierte mir auf mein Genöhl über Nächtigungshindernisse „toothbrush and toothpaste“, und als sie mich, als ich mich doch fürs Heimgehen entschied, ziemlich ganzkörperlich umarmte (sie war schon etwas tipsy, of course), hatte ich, so weh es tat, keine Lust, den Zauber zu zerstören: etwa, indem ich mich in die Wilde verliebte. Oder und baldmorgens unrasiert in der Traumfinca herumtorkeln zu müssen: im Tageslicht eines Aufbruchs, den dann die Uhr diktiert. Die Freunde, das befreundete Paar – es war ihr letzter Abend in der spanischen Idylle, unser Austausch war nicht minder tiefschürfend und hochfliegend gewesen: Letztlich haben wir einander erst so fern der heimischen Gestade kennengelernt – jedenfalls besser als dort. Keine Grenzen mehr: nichts, was sonst – so automatisch, dass man es normalerweise kaum registriert – trennt. Wir mussten aufhören, als es am schönsten war. Keine Bitternis in diesem kleinen Schmerz – es geht ja weiter. Man hätte nur gleich und sofort weitermachen mögen: sich allem, was sich auftat in jener Nacht, einfach weiter ergeben – alle Terminkalender ignorierend.

Gern nahm ich den Fluch mit: wiederkommen zu müssen, zu dürfen – zu können! „You will. You have to.“ Und ihr Blick sagte: Du kannst. Es ging mir durch und durch. Es gibt Lebensbereiche, in denen ich mir allzu kleingeistiges Denken angewöhnte, und dazu gehören merkwürdigerweise hie existentielle, da luxuriöse – und mich beschlich der Verdacht, dass diese beiden doch ein und dasselbe sind, oder doch wenigstens gemeinsame Wurzeln haben. Gemeinsamer Befreiung bedürfen.

Ich bin hier hergekommen, in die wuchernde Wildnis La Monardas, eines offiziellen Auftrittchens wegen, das – mal wieder – besser ankam als ich noch on stage dachte, aber noch viel mehr aus spirituellen Gründen. Die mit einer Not zu tun haben, die seither mein Leben verändert: und als oller Magier, vor allem aber als oller Homo Sapiens, liegt mir daran, diese Veränderung mit zu beeinflussen. Darf ich, so weich gefallen seither, überhaupt von Not sprechen? Ja, denn es ging und geht um Liebe. War’s aber nicht ich selber, der immerzu deren „viele Gesichter“ beschwor: zu Zeiten, als ich mein Glück noch vor mir hatte? Die Großen tun seither mächtig viel dafür, mich sachte daran zu gewöhnen, dass ich es – trotz allen Verlustes – nicht gänzlich hinter mir zu haben scheine. Ich lerne halt nur langsam.

Mein Vater ist tot, meine Mutter dement – und ich habe es satt, mein eigenes Kind zu sein. Es gibt keine Eltern mehr, die tadeln oder loben. Ich bin längst selber in dieser Rolle, ohne dafür Kinder – eigene oder mit zu behütende – bemühen zu müssen: Mein Rat ist öfter gefragt – ausgerechnet meiner – als meinen inneren Dämonen lieb ist. Ich bin auch niemandes Schüler mehr: nicht der einzelner Personen. Höchstens aller: Womit ich nicht nur Menschen meine, und nichtmal nur Götter. Auf der Veranda La Castañas verschmusten wildfremde riesige Tölen meine tradizzionelle Hundeangst zu einem unwesentlichen Absurdikum. Ja, lehrt mich weiter, Geri und Freki, dass alle (!) meine Grenzen nur eingebildete sind. Dass nichts mich aufhalten – ja nicht einmal einschränken – muss! Und dass ich Erfolge – mit und bei möglichen Niederlagen und Verlusten, die aber sowieso nicht umbringen, sondern eher weiter – nicht nur im geliebten zwischenmenschlichen Bereich bemerken und erringen darf: sondern auch in jener von mir so gefürchteten Welt, wo „die Märkte“ ihre Scheißrolle spielen. Sie sind nicht unerschütterlich, sie sind nicht für immer. Sie sind wahrscheinlich überhaupt viel mickriger als sie zugeben. Ich habe inmitten ihrer Barbarei überlebt – haven’t we all? Until now? And what comes next, what comes now? Wie rief ich doch grad erst: „…For there is something good in the world. It’s ours – always has been. And now we are coming to take it!“

Die Anzahl der Menschen, die mir vollkommen vertrauen – und noch mehr zu- – überschritt Anfang dieses Monats zwei Dutzend, weshalb ich den zu diesem Zweck bestickten und mir überreichten Filzhut meiner geliebten Ex-Gattin mit Stolz trage (obwohl ich darunter ausschau wie die Piefkeversion eines steirischen Bauernbürschels). Zu den 25 kommt noch eine Handvoll Menschen mehr, deren Vertrauen ich ebenfalls schon länger genieße (auch wenn dafür keine Hüte überreicht werden). Mindestens eine dieser Menschinnen erwartet mich freudig und bald – wenn das kein Glück ist, was dann?

Von manchem, was ich will und brauche, bin ich noch weit entfernt. Aber wann schreckten mich zuletzt Entfernungen in Zeit und Raum? Als ich 10 war, und 20 lächerliche Kilometer entfernt von einem nie wieder zurückgewonnenen Zuhause die älteren und tougheren, dümmeren und noch verloreneren Jungs mich zusammenschlugen Tag für Tag, etwa ein Jahr lang, während die Schließer wegsahen. Es ist so lang her, dass ich sogar die meisten Namen vergessen habe. Sie sind auch nicht wichtig. Waren es nie. Ich habe so einige Arschlöcher überlebt seither, und zu viele Freunde und Bekannte, die ebenfalls starben. Deren Namen weiß ich. Ich trag sie mit mir. Entfernungen? Ich stand ca. 2500 km von zuhause und sang eine Zugabe „dedicated to my friend Otto“ (der ein Hund ist: der „Wurschthund“), einen Song „about coming home“. Title: „La Monarda“. Entfernungen? Ich bin schon zum zweiten Mal hier. Ich komme wieder. Wenn’s sein muss: überall hin!

Jetzt fällt’s mir erst auf: Zum ersten Mal in meiner ganzen Laufbahn sang – naja: rief! – ich öffentlich einen Text in englischer Sprache. „The Last March“. Nicht für einen „internationalen Markt“, sondern für die Zuschauer vor Ort: letzten Samstag, right here in Südandalusien. Wieder badete ich in Komplimenten Einheimischer, die von den deutschen Worten meiner Show kein Wort verstanden hatten – aber irgendwie jeden Ton. Zwei der Spanierinnen, die mich ansprachen, gefielen mir recht gut… (auch wenn wir verbal nicht weit kamen miteinander – südandalusisches Englisch klingt ganz anders als deutsches. Ohne Sprache fühl ich mich ein wenig hilflos – weiß dann nicht, womit ich reizen könnte. Es ist auch nicht so leicht, sich jemandes Facebook-Namen zu merken wenn man ihn selbst ins Ohr geschrien nicht versteht im Lärm der Band. And what for? Zusammen zu tanzen, sich etwas neckisch bebusserln und bezupfen lassen und ein paar Funken zurückzusprühen war auch schön.) Und am selben Abend, da ich dies hier schrieb, hob die „Spaceship Crew“ La Monardas – vor dem Abschiedsmorgen einiger – nochmal zu den Sternen ab: einander die Herzen zeigend. Ich konnte noch mit einsteigen.

Vielleicht ist dieser Bolero, den ich als Marsch deklamiere, nicht nur eine Aufführung für Bühnen. Yes, it’s on the brim. And now is the time to achieve it. „You’re very welcome.“ Und ich bin so dankbar. Ich bin ein schwerreicher Mann. Und, weil „Eigentum verpflichtet“, will ich all das, was mich so reich macht, zurückgeben. Daheim ist, wo das Herz ist. Und wie die Liebe viele Gesichter hat, darf auch Heimat sein: überall dort, wo Willkommen herrscht. Mein Herz ist voll und offen. Das gehört nicht zu meinen zahlreichen Widersprüchen. Das ist mein Kapital.

(P.S.: Der verdammte Scheißpodcast – siehe Ankündigung weiter unten – kommt schon noch, Leute! Bussi, Große.)

3 Reaktionen zu “La Monarda”

  1. irka

    Glückvoller Kerl, du! Das kann dir niemand nehmen, das sind die Schätze, die sich in unsere Seelen eingraben, die immer dabei sind, die das eigentlich Salz in der Suppe sind:) Das war jetzt so verdammt schön zu lesen! Made my Day!!!
    irka

  2. MartinM

    Ich habe es Dir nicht offen zu sagen gewagt, aber ich hielt, als ich von Deinem Vorhaben erfuhr, ausgerechnet im August nach Andalusien zu reisen, für hirnverbrannt. Andalusien ist sicher ein wunderschönes Reiseziel, dachte ich mir – von November bis April.

    Nachdem ich das las, kann ich, zumindest ansatzweise verstehen, was Dich dorthin zog. Trotz Hitze, trotz Trockenheit. Wobei ich einräumen muss: mich hätte es nicht gezogen. Bei über 25 Grad Celsius setzt bei mir das klare Denkvermögen (mit dem es bei mir eh nicht weit her ist) aus. Und Sprachbarrieren nerven mich. Sie nervten mich sogar einst in Schweden, obwohl ich ein bisschen Schwedisch konnte, einige meiner schwedischen Gesprächspartner brauchbares, ein paar sogar gutes Deutsch, und wir alle einigermaßen fließen Englisch sprachen. Verglichen mit der Sprachbarriere, die Du da in Spanien irgendwie penetriertes, war das nur so was wie eine Türschwelle …
    Anders gesagt: wir sind unterschiedlich gestrickt, für mich wäre diese Reise Stress pur gewesen. Für Dich offensichtlich ein Vergnügen. Wenn auch, wie ich vermute, ein manchmal anstrengendes Vergnügen. La Monardas – irgendwie, auf eine verquere, mir nicht zugängliche Weise scheinst Du dorthin zu gehören. (Trotz Deiner sonnenempfindlichen Haut.)

    Ich gehöre nicht dorthin.

    Und ehrlich: um Deine Reise nach La Monardas beneide ich Dich nicht – darum, diese Erfahrungen zu machen, die Du machst, umso mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dich um Deine Fähigkeit, Freundschaften zu schließen, beneiden soll. Denn es hat ja seine Gründe, weshalb ich kontaktscheu bin, auch um den Preis der Einsamkeit. Es ist mir auch klar, dass Deine Fähigkeit, mit Menschen klar zu kommen, Kontakte zu finden, Dich zu verlieben, geliebt zu werden, nicht vom Himmel fielen, dass sie die Resultate eines Lebens sind, das so völlig anders verlief, als meines.

    Danke!

    Martin

  3. Bodecea

    Ah, das ist so schön, wenn – mit alten Freunden oder neuen – auf einmal so ein tolles, echtes Gespräch entsteht. Kann man nicht erzwingen, es passiert viele zu selten, finde ich. War schön zu lesen.

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