Eibensang

Goden ohne Boden

Von „allsherjar“ über „seidr“ bis „yggdrasil“: Was irgendwie germanisch klingt, taugt allemal zum Fleddern -oder als Nebelkerze, um der angestrebten Heiligkeit den rechten Schein zu verleihen. Oder so ähnlich. Wer will schon alles so genau wissen? Die Jünger esoterischer Germanenglauben-Prediger bestimmt nicht. Einiges spricht sogar dafür, dass es mehr Prediger als Gläubige gibt.


Anna domina 3.109

Nehmen wir an, es war einmal: Wien in über tausend Jahren. Die Umwelt ist abgeschafft, womit auch ihre Verschmutzung entfällt. Man fliegt mit Antischwerkraft-Armbändern durchs virtuelle Gassenpanorama. Vom Ellhornring bis zur Purple-Allee ist mondtags oft Handflieger-Stau. Verkehr? Gibt’s gelegentlich noch. Die Flirts aber werden gepulst. „Pulsies“ sind kleine Telepathie-Kügelchen. Das SMA (Sinisterium für matrifokale Angelegenheiten) pulst seinen „Spischi“ (Spirit-Schmäh) mittels größerer Kugeln in die „Biomaten“ (wie inzwischen die 32 Millionen Wiener Bürger, Mitmenschen, Hyperfem-Frauinnen, Neutrombies, Triklopse, ÄnderGenderles und „Heiße Hupfer“ samt ihrer Sklaven und Haustiere genannt werden): „Die Große Göttin lebt!“

Zicca -eine sich so entwickelt habende Mischform aus jahrhundertealten naturreligiösen Hexenkulten, dem SUA (Spirituellen Usertum Austria) sowie den Frühstücksgebräuchen der Nutellaner -ist seit 700 Jahren Staatsreligion in ganz Öropa (mit Ausnahme von Kleinbritannien und den ayurvedischen Inseln). In letzter Zeit mehren sich exotische Einflüsse wie der „Krismes“ der weißen Minderheit aus den NTA (Native Tribes of America)… Darunter nicht immer nur Harmloses wie der nostalgische Raketenrummel der beliebten Atomzeitaltermärkte, sondern auch für Tier und Mensch nicht ganz Ungefährliches wie der „Aktienglauben“ der Dividaendy-Bewegung oder die „altkapitalistische BWL“ (Betriebswirtschaftslehre) -beides abgeleitet aus einstigen Merkantilisationsübungen der Cappucinermönche aus Esopotamien.

Was soll nun der ganze Schmäh? Genau das fragen sich auch Leute wie Der Tankwart und Der Postbote. Ersterer ist eigentlich ein ganz normaler Biomat, der tagsüber in der Virtur (Virtuellen Natur) arbeitet wie Millionen andere auch. Abends aber lebt er erst richtig auf: Als gäbe es weder Mondknusper, Relative Realität noch Antischwerkraft, verwandelt sich der blasse Jüngling in eine archaische Gestalt des 21. Jahrhunderts: Da tanzt er dann nach Art unserer Vorfahren in gewebten (!) Klamotten um eine heilige Stele, die „Zapfsäule“, herum und nennt sich selbst „Tankwart“. Seine Gedanken gelten nicht mehr der Großen Göttin, sondern dem Öl. Das nämlich sei ein „Kraftstoff“. Die Frage, wozu um alles in der Virtuelt man sowas heute brauche, können auch Tankwarts Anhänger, die sich selbst „Autos“ nennen, nicht beantworten: Ohne Öl ginge halt nichts, das sei nunmal das „Schmiermittel“ der „Alten Zivisation“ gewesen. Besonders appetitlich geht es freilich nicht zu bei Tankwarts: Nur, wer wenigstens einen Becher der schwarzen stinkenden Brühe hinunterschluckt, „echtorganisch“ die Kehle runter, versteht sich, darf sich „Auto“ nennen (und wird dann mit Blechteilen behängt).

Hauptgegner dieser Bewegung sind Die Postboten. Die gehen ihren Mitmenschen mitunter dadurch auf den Keks, dass sie mit lautem Gewieher in der Landschaft herumspringen und ungefragt ganze Stapel losen Papiers verteilen: Das hätten ihre Vorfahren auch getan und sei mithin ein „heiliger Akt“ der „alten Religion“. Ganz zornig werden die Postboten aber, wenn man sie auf Den Tankwart und seine „Auto-Bewegung“ anspricht: Die historischen Postboten seien -nach Meinung Der Postboten zumindest -„mit pferdegezogenen Kutschen“ gefahren zum Papierverteilen: Für irgendwelche heiligen Säulen, ob „Zapf-“ oder sonstwas, finde sich „keinerlei Beleg“. Auch hätten die Altvorderen den „Kraftstoff“ Öl wenn überhaupt, dann nur ganz selten selber getrunken. Stattdessen sei der auf Bohrinseln im Meer gefeiert worden, die bisweilen zu Ehren des Großen Geldes „rituell versenkt“ worden seien. Die Tankwart-Fans wiederum kontern, dass im (guten alten) Industriezeitalter Autos die dominierende Lebensart gewesen seien, und dass es außerdem wiederholt und nachweisbar „Kriege ums Öl“ gegeben habe… In jüngster Zeit macht sich eine dritte Glaubensfraktion stark, die unter dem Motto „Alles ist eins“ die „Gemeinsamkeiten der alten Bräuche“ betont, und ebenfalls wie die Postboten Papier verteilt, das die sog. „Drucker“ jedoch vorher kreuz und quer mit Öl beschmieren: Denn die vom 17. bis ins frühe 21. Jh. verteilten Papiere der historischen Postboten seien „mehrheitlich mit Zeichen bedeckt“ gewesen, dies lasse sich „nachweisen“. So sagen die Drucker!

So grotesk dieses ganze Szenario anmuten mag, bleibt mir doch der (unnachweisbare) Verdacht, dass „unser Heidentum“ einem vorchristlichen Heiden vergleichbar bescheuert vorkäme, katapultierte ihn irgendein Wunder plötzlich in unsere schöne Frei-Zeit.

Was meine unernste Vision mit unseren heutigen Kenntnissen und Vorstellungen von historischem Heidentum gemeinsam hat, ist das Fehlen sinnvoller Hintergrund-Zusammenhänge in wesentlichen, aus der zeitlichen Ferne aber leicht übersehbaren Details. Genau dieses eingebaute Defizit läßt hie wie dort Raum für beliebige Idiotien: selbsternannte Tankwarte, die um funktionslose Zapfsäulen tanzen; Postboten, die sinnlos Wischs verteilen, ob nun öleingefettet oder nicht… Genau an solche Figuren erinnern sie, die real existierenden Scheinheiligen aus der paganen Peinlichkeitspalette: Haltlose Häupter, die, eh schon mit Schein- und Halbwissen „gekrönt“, sich noch fast jedes billige Okkult-Hütchen aus dem 19. Jh. aufsetzen -bzw. den kelto-germanisierenden National-Mythen jener Zeit aufsitzen –, den zumeist von innen her reichlich stinkenden Schmodder dann als angeblich „uralte Tradition“ verbreiten -und für einen solchen Bärendienst an neuheidnischer Sach‘ auch noch Ehrerbietung verlangen. Was sie in Wahrheit antreibt, ist die nackte Geltungsgeilheit. Sonst haben sie nichts!

Nun tanzt zwar nicht das gesamte Neuheidentum in all seinen Spielarten und Erscheinungsformen derart halt- und hirnlos im luftleeren Raum. Aber seine Goden und Druiden tun es -meistens. Zumindest diejenigen unter ihnen, die vor einer bestenfalls verblüfft-irritierten Allgemeinheit auf ihre fachlich-berufliche Anerkennung pochen. Wer, bitteschön, soll euch anerkennen? Für was, und weswegen? Ihr wisst nur, „als“ was ihr anerkannt werden wollt. So richtig peinlich wird’s dann spätestens beim „warum“. Auch davon wird die Rede sein müssen.


Blasen auf der Suppe

Unter dem Begriff „Goden“ versteht man heute meistens sowas wie „germanische Priester“. Letztere dürfen wir getrost im Bereich des Mythos, höchstens aber des „auch Möglichen“ ansiedeln. Die isländischen Goden, die im Jahr 1000 aus politischen Gründen beschlossen, das Christentum anzunehmen, waren eher weltliche Häuptlinge mit vorwiegend administrativen Aufgaben. Ihr Amt war dem heutiger „Bürgermeister“ ähnlicher als dem irgendeines Priesters. Hauptberufliche Priesterschaft in auch nur annähernd heutigem Sinne ist in altgermanischen (= vorchristlichen) Kulturen nirgends hinreichend belegt. Die Kelten hatten ihre Druiden -und die Germanen dafür keinerlei Entsprechung. Merkwürdig: Unter Neuheiden priestert’s dafür umso wilder.

Spiritualität als dem Alltäglichen enthobenes, von ihm weitgehend trennbares und getrenntes Phänomen anzusehen gehört zum sittenchristlichen Erbe, das sich tief in unser Denken und Fühlen eingegraben hat: unabhängig von unseren jeweiligen Bekenntnissen, Gottheiten, Glaubensvorstellungen. Wir verhalten uns nicht gemäß unserer bewussten Entscheidungen (die über Wunschdenken und Symbolschwenkereien oft wenig hinausgehen), sondern gemäß tiefer verwurzelter Gewohnheiten: Das gilt bereits fürs Denken, noch mehr aber für unsere unbewussten Wahrnehmungen und die entsprechenden Reaktionen.

Die Kultur, als deren Kinder wir aufwuchsen, ist seit über anderthalb Jahrtausenden von christlichen Werten geprägt -und selbst, wenn man einzelne dieser Werte austauscht, ändert das noch nichts am System, am kategorischen Gefüge. So kommt es zunächst mal zu einigen heidnischen Werten und Ansichten innerhalb eines nach wie vor in christlichen Denkkategorien funktionierenden Systems -und das ist der Zustand, in dem sich die Entwicklung des Neuheidentums m.E. derzeit befindet. Bestenfalls, und bis auf Weiteres. Über die möglichen Inhalte solcher sporadisch als „heidnisch“ empfundenen (oder dies bedeuten sollender) Werte besteht freilich, je näher man hinsieht und genauer man nachzufragen wagt, kaum bis gar kein Konsens. Die einen bedauern das als ein Problem, das sie gerne jenen in die Schuhe schöben, die dummerweise nicht ihrer Meinung sind. Vergeblich wird dann gern anhand des Etiketts beschworen, dass der Inhalt beliebiger Flaschen sich bitteschön zu gleichen habe -oder dies bereits täte, weil ja dasselbe Pickerl draufpappt: „Wir sind doch alle Heiden“, oder „wir“ Heiden „müssen zusammenhalten“ -und zwar aus keinem andern Grund, als dass wir uns Heiden nennen. Fast fragt man sich, wie solche Menschen in der Konsumgesellschaft überleben. Vermutlich hilft ihnen der Glaube.

Andere heißen die widersprüchliche Vielfalt als szenetypisches Merkmal willkommen, doch auch sie müssen zugeben, dass das schiere Chaos heidnischer wie scheinheidnischer Haltungen und Lebensentwürfe nicht dazu taugt, die herrschende Ordnung irgend zu beeindrucken, geschweige denn auch nur annähernd anzukratzen. Beide aber -die Beschwörer nicht- oder kaumvorhandener Gemeinsamkeiten wie die Segner zwangsläufiger Beliebigkeiten -übersehen zumeist, dass die allen Szenekennern so selbstverständlich erscheinende Vielfalt, ob nun beklagt oder begrüßt, im Neuheidentum als mögliche Wirkgröße kaum eine Rolle spielt. Sie blubbert nämlich nur blasenartig an der Suppenoberfläche. Den eigenen Tellerrand zu sehen, muss in Heidenkreisen schon als intellektueller Ausnahmezustand gewertet werden. Über ihn hinauszusehen, ist eine noch seltener beobachtbare Kunst, zählt sozusagen schon zu „pagan fiction“. Die tieferen Lagen und Schichten der Suppe aber, des Tellerinhalts, auf dem all die heißgeblasenen Heidentümer so pittoresk vor sich hinblubbern, sind voller Mysterien, für die sich so schnell keine Halskettenträger interessieren (egal, welche „Tradition“ sie auch so wohlfeil erstanden am Hals haben).

Gewohnheiten, auch und gerade eigene, lassen sich nun mal nicht so leicht verändern wie Garderobe, Feiertagstermine und oberflächliche Ansichten. Diese drei Aspekte scheinen vielen Neuheiden ohnedies zu reichen. Es sei ihnen ja vergönnt. Aber der nachgiebige Schlick solcher Anspruchslosigkeiten ermöglicht erst die Ansprüche beliebiger selbsternannter Autoritäten auf allgemeine Anerkennung. Hier, in dieser Nährlösung aus charakterlicher Bequemlichkeit, inhaltlicher Kurzsichtigkeit und zum Scheinwissen vergorener Denkfaulheit, da wachsen sie: die Goden ohne Boden. Manchmal nennen sie sich auch Druiden, manchmal Schamanen -was soll’s, oft sind sie ja alles zusammen in einer Person.


Tanz der Vampire

Die Wanderprediger des Neuheidentums, die Jüngersammler der Kult-Eklektizisten, die paganen Petrusse der Esofischteiche -ob sie nun germanisch tümeln oder keltisch okkulteln, schamanisch trancen oder dies alles zusammenmixen, um letztlich ihren Autoritätsanspruch zu betrommeln:

Sie haben Gemeinsamkeiten. Sie fordern Respekt, den sie selber nicht aufbringen. Ihr Feingefühl ist das von Planierraupen, ihre Lehrbereitschaft gleicht Wasserrohrbrüchen. Sie geben Antworten, mögen sie gefragt sein oder nicht. Sie pochen auf ihr Ehrgefühl, was sie aber selten davon abhält, hinten wieder reinzutrapsen, wenn sie vorne rausgeschmissen wurden. Sie haben keine Vorstellung von Würde -außer der, dass ihr „Amt“ ihnen welche verleihen müsse (weshalb sie so penetrant auf dessen Anerkennung beharren: als ihrem einzig denkbaren Quell einer „Würde“). Etwas Wirkliches können sie aber nicht verbinden mit diesem Begriff, weshalb sie ja auch so stehaufmännchenartig wieder herantrappeln nach jedem real erhaltenen Arschtritt: Sie haben nichts, worunter sie letztere Lebenserfahrung abspeichern können, egal, wie oft sie ihnen widerfährt. Abfuhren lagern sie als folgenlose „Error“-Meldungen in ihrem Gedächtnix, die sie bestenfalls als Unbotmäßigkeiten eines vagen Heers „Unbelehrbarer“ zu interpretieren wagen… Womit sie freilich den letzten seelischen Notausgang verpassen: die Chance einer Selbsterkenntnis durch Außenspiegelung.

Ihr Sendungsbewusstsein ist so unverwüstlich wie manche dieser „Dialogboxen“, die wiederaufpoppen, egal wohin man klickt. Sie tragen Namen und, vor allem, Titel. Sie treten auf als Beauftragte ganzer Kulturen, wenn nicht gleich als deren Quintessenz, und weil diese Kulturen zufällig entweder weit weg oder längst ausgestorben oder beides sind, erklären sie sie uns. Dabei beanspruchen sie unantastbare Deutungshoheit. Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ansichten sind für sie identisch mit Angriff auf den Lehrmeister, womöglich gar auf göttliche Instanzen. Widerspricht man ihnen wiederholt, fühlen sie sich „zensiert“ und beklagen sofort „Hexenjagd“, mitunter gar „Faschismus“ (besonders pikant, wenn sie selber munter jenseits der Menschenrechte herumschwadronieren: was die meisten von ihnen tun, da ihre egomanische Blick-Einkrümmung auf den eigenen Bauchnabel sie blind macht für Fragen ethischer Tragweite). Kritischer Diskurs ist ihnen vollkommen wesensfremd: wahrscheinlich eine Erfindung des von ihnen mit einiger Sicherheit irgendwo verorteten „Feindes“. Noch ganz normalen Dialog betrachten sie als mehr oder minder verzeihliche Unterbrechung ihres Monologes durch Unwissende. Sie beanspruchen Autorität, die meist in krassem Missverhältnis zu ihrer Überzeugungskraft steht. Und je weniger Widerhall sie finden, desto langatmiger und lauter predigen sie. Sie kennen keine Selbstzweifel, denn diese setzen ja ein Selbst voraus. Das ihre aber spüren sie nicht, und so schwirren sie herum wie immerhungrige Vampire: auf der für sie lebensnotwendigen Jagd nach Geltung und Bedeutung. Zur Not fressen sie auch das faulige Aas blanker Aufmerksamkeit. Nur eins sind sie nicht, die Wanderprediger des Neuheidentums: zu beneiden.

Bei alledem unterscheiden sie sich merkwürdig wenig von den Propheten des Monotheismus, denn wie bei jenen sind ihre Erkenntnisse meist offenbarungsartig gottgesandt.
Ja, gern listen sie zusätzlich ihre „Ausbildungen“ auf -vom Wochenendworkshop bis zum langjährigen Atemheber und Heilwasserträger bei Gundel Gorgonzola-Gatsch Gydhia und Swami Salami Sockenschuss persönlich. Ihre Referenzlisten nennen Namen, von denen man unwillkürlich hofft, dass die ihnen zugrundeliegenden Zustände nicht ansteckend sind. Angesichts dort und derart „Ausgebildeter“ fragt man sich: Meinen die das ernst? Verbringen sie womöglich ihr Leben so? Als Geisterbahnfahrten durch ein Nichts von Schall und Rauch? Immer auf der -weitgehend inhaltsfreien -Suche nach äußerer Bedeutung?

Sie predigen die Wahrheit, nur und immer -doch jede andere bedroht die ihre durch bloßes Existieren. Du darfst zwar deine eigene Meinung haben, aber nur als Irrtum. Bist dann halt „noch nicht soweit“! In der Tat: Genau dies ist zu hoffen.

Wie alle kleinmütigen Autoritäten beleihen auch diese die ihre „von oben“: im Heidenfalle meist gleich durch die oberste Instanz, die Götter, das Göttliche. Das macht diese Art von Predigern hierarchieabhängig: Jenseits davon können sie sich überhaupt nichts vorstellen. Dadurch fühlen sie sich auch derart gezwungen, uns und unsere Welt zu sortieren, letztlich: zurechtzuweisen. Jede Abweichung von ihrem inneren Schema gefährdet ihre Identität. Ihre Seelen müssen in „eisernen Jungfrauen“ stecken. Der kreativen Kraft eines gesunden Geistes sind sie so fern wie der Katholenpapst Naturgottheiten.


Die Beruhigungsdroge

Im Kleinen spiegelt sich für gewöhnlich das Größere, und wahrscheinlich fällt es allein Heiden selten auf, dass ihre Gruppierungs- und Organisationsmodelle, ja ihre Moden und Marotten meist ziemlich unfreiwillige Karikaturen mehr oder minder aktueller Zustände der größeren Gesellschaft darstellen -insofern folgerichtig, als dass sie derselben ja letztlich entstammen (und so rum wie so rum Teil von ihr bleiben). Natürlich versucht auch die Öffentlichkeit, Strömungen wie das Neuheidentum vor allem durch den Blick auf dessen vermeintliche Repräsentanten zu erfassen: Und hier schlägt sie endlich, die Stunde unserer nicht grund-, aber ganz und gar bodenlosen Goden, sonstiger Vorbeter und Möchtegern-Päpste. Bei der eigenen Wunschklientel mehr verlacht als umstritten, mehr abgeblitzt als abgenickt, mehr ignoriert als mitgetragen, finden die Dünkelkranken vor Mikrofonen und Kameras endlich Gehör, Scheinachtung, Aufmerksamkeit: Die Presse erwartet Rumpelstilzchen, und, voilá -die Presse bekommt ihre Rumpelstilzchen -willig breiten die ihre kruden Weltsichten aus und merken gar nicht, wie sie vorgeführt werden.

Noch jeder Heidenfürst hat die Vorurteile, die ihm von einer misstrauischen Öffentlichkeit entgegenbranden, aufs Peinlichste bestätigt.
Die Schnellschuss-Journaleros und ihr Medienfutter, die als Freaks Vorgeführten, sind sich einig. Gemeinsam ist ihnen die Täuschung, dass es sich dabei um etwas Repräsentatives handle. Die Journalisten wissen es nicht besser -und vermissen nichts: Schließlich ist das eh schon so ähnlich Erwartete immer auch die am einfachsten zu präsentierende Story. Die Vorgeführten wollen es nicht wissen: Erfährt ihre mit Sprechblasen und mystischen Titeln superlativ überwucherte Bedeutungslosigkeit hier doch endlich mal einen Hauch von Halt in Form hörbaren Widerhalls. Journalisten wie Zuschauer mögen die Köpfe schütteln über die wahnwitzige Weltfremdheit solcher Figuren, aber eines glauben sie ihnen: Dass wir alle so seien wie die. Schließlich sind das ja unsere Repräsentanten, oder? Sie geben sich als solche aus, und warum um alles in der Welt sollten Presse und Öffentlichkeit ihnen ausgerechnet das nicht glauben? Ist es doch oft das einzige, was in dem ganzen Sermon überhaupt glaubhaft klang! (Unzufällig ist dieses Repräsentierenwollen ja auch das einzige echte Motiv der dieserart Vorgeführten!)

Da mögen sich die Nägel der Wiccas im Allgemeinen und der Dianics im Besonderen noch so hochkrümmen -als „König der Hexen“ fände noch der letzte Grenzdebile ins Fernsehen, und reichten seine Knotenzauberkünste auch kaum aus, sich auch nur eigenhändig die Schuhe zuzubinden. Aber gerade solcherlei Versagen findet ja rasch öffentlichen Beruhigungsbeifall: Keine Bange, Leuts, das sind bloß Spinner… Selbst wenn die nicht „bloß spielen“ wollen (man weiß ja nie…) -sie vermögen nichts. Schaut her, wie sie scheitern. Fast ein bisschen sympathisch, nicht wahr?

Das ist die unterschwellige Botschaft von TV-Beiträgen (gemeint sind jetzt hier nur die medienseits gutwillig motivierten), die mit Vorliebe zeigen, wie irgendeine Hohepriesterin ihr Räucherwerk nicht ankriegt oder dem Oberschamanen ein paar Spaziergänger durch den frischgezogenen Schutzkreis latschen. Auf ein grund- und vorsätzlich verunsichertes Allgemeinpublikum haben solche Bilder Beruhigungscharakter -nebst des Trostes, sich beim eigenen Scheiß nicht ganz so deppert fühlen zu brauchen, da es ja anscheinend noch viel beknacktere Gestalten gibt, in unserer schönen Welt.

Auch die dieserart Vorgeführten sind beruhigt, da endlich mal beachtet worden. Mögliche Unzufriedenheiten mit den (zumeist ja entsprechend dürftigen) Ergebnissen sind mittels Schwarzweißdenken schnell der tendenzparanoiden Grundhaltung („alle haben was gegen Heiden“) angepasst und ohne Selbstkritik verdaut.

Was dabei natürlich permanent auf der Strecke bleibt, ist der Ruf des Heidentums in der Öffentlichkeit. Der bleibt so bodenlos wie seine schlechtesten Vertreter. Vielleicht sollte heid mal betonen, dass die keiner von uns bestellt oder gerufen hat. Und berufen schon gar nicht.


Es geht auch anders

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen Goden. Ich bin selber einer. Allerdings spielt Letzteres -und hier liegt der feine Unterschied zu den oben Beschriebenen -überhaupt keine Rolle: außerhalb der überschaubaren Gemeinschaft, die mich dazu gewählt hat. Und selbst innerhalb dieser bin ich in keiner Weise sonderberechtigt oder weisungsbefugt: Mein „Amt“ enthält keinerlei Privilegien, sondern ist ein Angebot an diese eine Gruppe, das mich ihr und ihren Mitgliedern (und niemandem sonst) verpflichtet. Voraussetzung dafür war, nach praktischem Probejahr, das einstimmige Vertrauensvotum der Gemeinschaft: Gydhia oder Goði kann bei uns nur werden, wer ausdrücklich von jeder und jedem Einzelnen der Gemeinschaft dazu anerkannt und bestätigt wird. Diese Bindung ist mein Boden, und daher braucht unsereiner nirgends um Anerkennung zu buhlen. Der ganzen großen weiten Welt kann es pupsegal sein und bleiben, was für eine Funktion ich für ein paar Freunde und Vertraute ausübe und wie die in unserem festen Kreis definiert ist. Ich wiederum hätte nicht das geringste Bedürfnis, weiteren, womöglich größeren Kreisen dienen zu wollen: Wie zum Donner sollte ich das bewältigen -und dann noch verantworten?

Freilich will die kleine Gemeinschaft, der ich angehöre, keinen Weltruhm einheimsen oder irgendein Heidentum repräsentieren, sondern eine zeitgemäße Form germanischer Kultur leben. Um die zu schaffen, erforschten wir weniger alte Scherben als vielmehr den Geist, der die einstigen Pötte schuf, will sagen: Zwar fanden auch wir immer ganz interessant, wie Angehörige altgermanischer Gemeinschaften ausgesehen haben mochten -viel maßgeblicher für uns aber war und ist, wie sie dachten: unter welchen Voraussetzungen sie welche Ideen hatten, und was sie daraus machten. Was uns davon sinnvoll anwendbar schien (auch und gerade aus der historischen Distanz: nützen soll man, was man eh schon hat, insbesondere, wenn einem sonst wenig übrigbleibt…), probierten wir aus: an uns selber natürlich. Unsere heutigen Regeln sind eine Mischung aus verschiedenen altgermanischen Ideen, die sich auch in einer Gemeinschaft des 20. und 21. Jh. bewährten, sowie eigenen, die im Laufe 13jähriger Praxis entstanden. Alles zurechtgeschnitten auf die speziellen Erfordernisse dieser Gruppe, in konsensdemokratischer Kleinarbeit.

Das ist sicher nicht die einzige mögliche methodische Alternative zu den weiter oben beschriebenen Zuständen -es ist nur die mir bekannteste, und für mich am besten passendste. Beides liegt daran, dass ich sie seit langem mitgestalte. Das aber hat wiederum nichts damit zu tun, ob oder was für einen Titel ich trage, für wen der gilt und was das bedeutet. Gruppenintern haben wir auch schon mal überlegt, ob wir solche Titel überhaupt brauchen -oder vielleicht abschaffen sollten. Wir werden sehen. Wie auch immer wir das entscheiden: Das geht nur uns an, betrifft auch niemanden sonst.

Undenkbar, solche Gedanken, offensichtlich: für manch Ganzandere:

Denn der Begriff „Gode“ ist in Österreich gesetzlich geschützt. Natürlich nicht in Form irgendeiner inhaltlichen, geschweige denn einer historisch auch nur halbwegs korrekten Bedeutung -sondern in einer ausschließlich zeitgenössischen: als Markenname nämlich. Das heißt: Niemand anderes als die Inhaberfirma darf mit dieser Marke Geschäfte machen. Also passt auf, wenn ihr auf die Mittelalter-, Eso-, Yule- und sonstigen Märkte geht: Kauft und verkauft ja keine Goden, sonst macht ihr euch strafbar. Das Godengeschäft ist fest in der Hand einer Esofirma, die u.a. „ethisch integral naturgeweihtes Seidr“ anbietet und vieles mehr.

Vielleicht ist von Euch jemand so wief und läßt sich jetzt mal den Begriff „Seidr“ patentieren -was dat meint is‘ völlich pups, ich erklär’s Euch gern später -dann können die sich ihren Krampf (was immer die unter Seidhr, wie man’s eigentlich schreibt, verstehen) ganz „ethisch integral geweiht“ in den Hintern rammen!
Wär doch ein lustiger Sport: Wer patentiert welchen Schmäh am schnellsten?

Aber auch jenseits des Marktes, und auch wenn Ihr selber gar keine Goden seid, weder integral noch beseiert, und -wer wollt’s Euch verdenken -so ähnliche Voll-Ideoden lieber gar nicht erst kennenlernen wollt: Falls Ihr doch mal welche trefft (die Bodenlosen laufen einem nämlich meistens nach, da braucht man selber gar nicht suchen): Lasst Euch nicht für dumm verkaufen.

Text © Duke Meyer 2008

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