Eibensang

Blonde Gefühle, schwarzblau und mannsartig

Lasst mich leben. Lasst mich träumen. Von Verhältnissen, die wir noch nicht haben. Ich habe Anlass zur Hoffnung. Was heißt „ich habe“. Ich nehm ihn mir einfach! Hier ist er: Vor 100 Jahren sah vieles – gerade viele Sitten und Gebräuche – noch ganz anders aus als heute. Warum soll ausgerechnet das instabile Heute andauern bis übermorgen oder gar Ultimo? Die Welt ist im Wandel. Schon immer gewesen. Jetzt ist die Zeit. Immer nur jetzt.

Ich habe keine materiellen Reichtümer angehäuft in meinen bisherigen 53 Jahren. (Obwohl – so’n Fender Twin Reverb, der ist schon ein doller Oschi, und gar nicht so billig…;-) Aber natürlich nix gegen eine eigene Villa oder Fabriken oder so nen Scheiß.)
Ich glaube, trotz meiner herben Verluste gerade in jüngerer Vergangenheit, dass ich es in meinen Beziehungen, den intimen und verbindlichen, ganz gut gemacht habe. Ich bin da recht selbstbewusst geworden über die Jahre. Über die Entwicklungen, die ich durchmachte. Tränen? Geschenkt. Gibt es immer wieder. Sie sind nicht das einzige, was tropft. Mein Herz war schon mal vernarbter. Es regeneriert sich gerade. Die Großen helfen mir: die Gottheiten, denen ich mich genau deswegen anvertraute, und mit denen ich jetzt schon so lange – und so erfolgreich – im Bund bin. Ich gab ihnen mein Leben – und so bekam ich eins geschenkt, das ich sogar selber gestalten darf. Spät genug hatte ich das kapiert!

Ich bin ein bisschen verquer aufgewachsen, deshalb hab ich entsprechend skurrile Bedürfnisse entwickelt im Laufe meines schönen Lebens. Nein, ich habe keinerlei Sensatiönchen zu verplaudern bezüglich meiner sexuellen Interessen: Die sind relativ gewöhnlich (außer natürlich, dass ich mehr will, mehr brauche, mehr leide und viel mehr gebe als der Durchschnitt – also ihr alle… -, und das Ganze sowieso gern viel länger dauern lasse, eh – ich wäre kein Mann, hielte ich mich nicht für den größten meiner Art – ihr verzeiht mir also gefälligst die gut gewürzte Wahrheit. 😉 ) Brunft beiseite. Die Skurrilität meiner Bedürfnisse ist allen, die mich kennen, bekannt. Sie liegt nicht auf dem Lustlager, sondern betrifft alles außerhalb. Ich liebe polyamourös, also mehrere Menschen gleichzeitig, parallel, intim, verbindlich -und kann teilen. Quod erat demonstrandum, several times – und jederzeit wieder. Ich will damit niemandem Angst machen oder verunsichern: Ideologien sind für die Mülltonne – und ggf. wende ich Gewalt an, sie alle dort hineingestopft zu bekommen. (Denn Ideologien, gleich welchen Inhalts, laufen immer auf Menschenverachtung hinaus: spätestens beim Versuch, sie durchzusetzen.)

Ich verlange lediglich: Lasst mich leben wie es mir gemäß ist. Lasst mich mein Modell weiterentwickeln. Ich achte die anderen, die euren: selbstverständlich. Natürlich fühle ich mich fast automatisch all denen, die auf ihre Art eigen und „anders“ sind, in gewisser Weise verbunden. Wer unter dem Mainstream leidet, hat mein Augenblitzen. Vielleicht auch meine Schulter, mein Rückgrat, mein Wort – und den Stand meiner breiten Quanten im Schlamassel. Wenn’s drauf ankommt, mein Schwert: meine Zunge! Und aus genau diesem Gefühl heraus texte ich gern. Verbinde mich mit meiner Göttin Sprache – und ernte ihren Segen. Diene ihrer Macht. Treffe in Herzen. Was meins erhält. Bin ich der einzige hellhäutige blonde Hüne, der weiß, was es heißt, als Nigger/in geboren zu sein? Manchmal hab ich den Eindruck. Potente Machos vergangener Zeitalter mit Gitarren in den Pfoten weckten meinen Lebensfunken, aber zeitgenössische lesbische Frauen waren es, die mich lehrten, um die Ecke zu denken und meine Herzensantennen feiner auszurichten. Mit den Queeries konnte ich mich identifizieren – obwohl ich weder Weib noch lesbisch bin. Aber uns nervten dieselben Verhältnisse. Wir teilten eine ähnliche Art Einsamkeit und innere Not. Und wir tun es immer wieder. Wir erkennen einander. An kleinen Zeichen. Dem Zucken von Mundwinkeln. Am Schimmern in Augen. Erinnerung an Erlebtes. Das Zusammenzucken von Herzen bei Witzen, über die wir nicht lachen können. Plötzliche Klüfte am Mittagstisch – und ebenso unsichtbar zitternde Antennen, die sich berühren. Wir sind blutsverwandt.

Lasst mich arbeiten: an Verhältnissen, die wir haben. Ich musste 33 Jahre alt werden, um eine kraftvolle Vorstellung davon zu entwickeln, was für ein Mann ich sein will: übers geschlechtliche Verlangen hinaus. Im selben Alter, als Jesus Christus starb, wurde ich Heide. Ihr wisst, dass ich damit nicht das ledigliche Umdekorieren irgendwelcher Äußerlichkeiten meine. Es ist eine Charaktersache. Und damit geht es mir nicht um anerkennenswerte Feiertage in der Öffentlichkeit, sondern um erkennbare Gründe, selbsterkämpfte Veränderungen meiner eigenen Persönlichkeit feiern zu können. Dafür brauche ich keine Anerkennung als die des faktischen sozialen Erfolges. Also nix Großes. Nur das Nicken eines Freundes, das bestätigende Blitzen in den Augen einer Freundin. Das Ja der Verbündeten. Oder sogar mancher Gegner: jener, die dann womöglich erkennen, dass sie mir keine sein brauchen. Weil die Front nie zwischen Konfessionen verläuft. Sondern immer nur zwischen Haltungen. Schon lange frage ich nicht mehr: Bist du Christin, Hindu, Moslem, Jüdin, Atheist, Heidin oder sonstwas. Ich frage: Was tust du, was machst du – was lässt du zu und warum. Wie behandelst du die Deinen. Und schau mir das an. Höre die Worte, sichte und beurteile die Taten und Unterlassungen. Nicht als ein Kontrolleur: Wer wäre ich denn? Nur als einer, der Hilfe braucht und gewährt. Mit diesem Niggerkomplex im Herzen. Den Schwachen zu helfen – das ist germanisch. Das kann ich beweisen, Folks. Muss ich aber nicht. Wichtiger ist es, so zu handeln – egal wie ich das nenne. Ich delektiere mich nicht an Schwächen. In Stärken will ich sie verwandeln! Und so reiche ich niemandem die Hand, weil er oder sie mich dauert, sondern weil ich nur deshalb noch lebe, weil das – grund- und notlos – Wildfremde mit mir schon machten: in Situationen, wo alles auf der Kippe stand. Ich erfuhr Hilfe, wo ich keine verdiente. Länger hat’s gedauert, zu begreifen, dass ich sie durchaus verdient hatte. Aber danach fragten die nicht, die mir halfen: im entscheidenden Moment. Darum geht’s.

Lasst mich träumen. Träume sind Feuer im Herd. Sie machen die Bude warm. Sie sorgen für Ausgangspunkte. Sie sind das Blut unserer Entscheidungen. BWL-Gläubige wissen nichts darüber. Die hätten das Rad nicht erfunden – ja nichtmal das Feuer selbst urbar gemacht. Rechnet den Urknall durch: Gell, der rechnet sich nicht, wa, ihr Narren? Die Geschichte der Menschheit ist ein Trotzdem – wie die Geschichte des ganzen Kosmos überhaupt. Und deshalb ist jede kleine Irre, die die Fackel schwingt – aber halt im entscheidenden Moment – im Einklang mit den ganz Großen. Hollywood weiß das, und rührt uns mit den besten solcher Momente manchmal zu Tränen – aber natürlich außerhalb der tatsächlichen Zusammenhänge (sonst gäbe es nach jedem gelungenen Film einen Volksaufstand, eine Revolution). Träume sind mehr als Schaum, auch wenn sie manchmal nur solchen hinterlassen. Träume sind der Treibstoff der Taten. Wenn sich je irgendwas geändert hat seit dem zweihundertmillionsten Standardfaustkeil des dreihundertmillionsten Pithecantropus Erectus, dann weil die dreihunderteinmillionste Pithecantropa Erecta davon geträumt hat, den verdammten Faustkeil mal etwas anders zu schlagen. Vielleicht etwas scharfkantiger. Vielleicht war es die auch, die auf die Idee kam, das steinerne Dingens mit einem Stück Holz zu verbinden. Was möglicherweise noch ein paar Generationenkonfliktrangeleien überdauern musste, bis es endlich geklappt hat. Aber voilá, die Axt!
(Wir stammen von denen ab, die’s gewagt und geschafft haben. Nicht von denen, die schon damals befanden, dass sich so’n Quatsch „nicht rechnet“.)

Worauf hinaus? Auf einen Funken, den ich dir zuwerfe – und von dir auffange. Wir sind verstreut, aber nicht allein. Wir sind die Blumen des sterbenden Winters. Vielleicht kriegt uns der Frost. Aber letztlich muss er der Wiese weichen. Von der wir heute künden. Wir müssen anfangen. Damit was nachkommen kann. Damit sich noch mehr trauen. Das zu tun, was getan werden muss. Die Welt ist im Wandel. Das Deck der Titanic neigt sich, und das Orchester spielt wie verrückt. Dieses Bild zeigen sie uns ständig. Ich verweigere die Annahme. Die Welt ist kein Film. Ich fragte Eichhörnchen und Schmetterlinge. Sie alle bestätigten mir das. Ich traue ihnen mehr als den Bankiers, die um ihre Pfründe fürchten dieser Tage. Kann schon sein, dass so mancher komplizierte Zauber demnächst zusammenbricht – was sicher Folgen hat. Die Magie des Geldes ist eine mächtige. Aber nicht die einzige. Und nicht die mächtigste. Das wussten lange nur ein paar alte Indianer. Sie haben es weitererzählt inzwischen. Und Wotan Sturmgeist steht auf, schüttelt sein besudeltes Haupt, und grüßt die Büffelfrau. Vernetzungen gelingen schneller heute, und global – nicht nur merkantile. Das Internet ist ein gutes Pferd, das wir nicht mehr hergeben – auch wenn Herr Zuckerberg meint, er könne uns seine eingezäunte, eng reglementierte und gutsherrenartig verwaltete Koppel als die Prärie weismachen, in der sich seine Einfriedung samt Timeline & Co. lediglich befindet. Da haben wir schon ganz andere Imperien aufsteigen und wieder zerbröseln gesehen.

Eibensang spricht – wie fast immer, vom Hölzchen aufs Stöckchen und ohne vorzeigbare Conclusio. Aber dies ist kein Zeitungsartikel, kein Essay, kein Bericht. Improvisierte Kommentare aus brennendem Herzen gibt’s hier, in diesem freien Blog – und entgegen jüngster Ankündigung 😉 auch immer wieder mal zu lesen (Bussi, Martin: Verstehe deine Podcast-Abstinenz bestens – lausche selber keinen Hörbüchern. Will mich nur methodisch erweitern – in Ohren raunen zu können machte schon immer einen wesentlichen Anreiz für mich aus, überhaupt Bühnen zu entern: während Live-Auftrittsgelegenheiten leider seltener werden.)
Unsortiert? Nein: unterwegs. Ich spüre sehr genau, was ich da anstoße und wen (wofür ich gar nicht zu wissen brauche, wer das wirklich liest, und nicht jede Leserin persönlich kennen muss). Wir verstehen uns schon. Ich schreibe für Blutsverwandte – und solche, die es werden wollen. Das geht nämlich – alter Gotentrick.

Mich reitet die tiefe Überzeugung, dass ich hier Verbindung halte – zu Menschen, die teilweise ähnlich empfinden und zuweilen an Vergleichbarem leiden oder sich am Allerselben erfreuen wie ich. Einst schrieb ich lange Briefe auf Papier oder nahm (prä-podcast-artige) Audiocassetten auf, die ich in einstelligen Auflagen an ausgesuchte Bekannte und Freunde verteilte. Just for fun – und zum Überleben, damals wie heute.

Anders als früher sehe ich einen tieferen Sinn in sowas. Manchmal lehne ich mich einfach zurück, in meinem Stuhl oder aufm Bett, und denke an all die Menschen, die mit mir nennenswert zu tun haben (einschließlich derer, mit denen ich zu tun haben möchte -Gegenwärtige, aber auch mal quer durch die Zeiten, Vergangenheiten über mein kleines Leben hinaus…). Ich atme ein und aus und denke an euch. Nahestehende und Fernere. „Irgendjemand vermisst man immer…“ seufzte meine Geliebte kürzlich (die wie ich mehrere Menschen intim liebt und ihre Aussage in dem Moment auch nur darauf bezog) – wobei ich feststelle, dass dieser Satz über Intimverbindungen hinausgeht. Mein Kapital sind Freunde (intime inkludiert, natürlich). Hab ich sonst noch was? Nø. Nur Feuer im Herzen. Hei ho! Her zu mir, Speer und Pferd – wir wollen reiten. Den Rufen entgegen!

4 Reaktionen zu “Blonde Gefühle, schwarzblau und mannsartig”

  1. Bodecea

    Lese gerne deine Blogposts, Danke!

  2. Londo42

    Bei diesem Text musste ich plötzlich an „More“ von den Sisters of Mercy denken.

  3. Captain Patch

    Inspirierend. „Träume sind der Treibstoff der Taten“ – ich mag die Bilder in Deinem Kopf.

  4. Andrea Hirschmann

    Mann der mitreissenden Worte, ich bin froh, dass Du auch noch schreibst und nicht nur podcastest, ich werd ja immer mehr abgehängt durch langsame Leitung. Damit meine ich nicht meine eigene, sondern den nur-ISDN-Anschluss hier 😉

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