Eibensang

Alsöba!

Was ist das? Die unheimliche Gottheit der wimmelnden Massen. Haben wir danach verlangt oder wurde sie uns aufgedrängt? Ich weiß nicht, ob das egal ist. Vielleicht verlangten wir nach ihr, als es sie nicht gab oder noch nicht so übermächtig war wie heute – haben aber mit Sicherheit der Konsequenzen nicht gedacht (wer hier stolperte: Das war ein altbackener Genitiv. Gern geschehen! 😉 ). Wie jede starke Gottheit hat sie mehrere Namen. Ich übersetze aus dem Österreichischen (das ich hier nur aus ästhetischen Gründen wählte – weder stammt besagte Gottheit von dort noch ich söba) in dudennahes Piefkedeutsch: „Allesselber“. Für die Gedankenloseren unter uns (falls von denen doch welche mitlesen sollten): „All by yourself“. Alles selber machen!

Dürfen wir? Von wegen. Wir müssen. Ein Zwang, der als Chance angepriesen wird wie Fleckentferner vom Quacksalber – mit vergleichbarer Wirkung und in verräterischerweise sehr ähnlichem Stil. Wir „entscheiden“ uns für die einsame Option, weil die Alternative aus dumm gucken besteht. Wir haben also keine Wahl, sondern machen beherzt alles selber und gucken erst dann dumm. Es hat praktisch alle Lebensbereiche erfasst. Natürlich gibt es nach wie vor kompetente Fachkräfte, so wie es auch nach wie vor jede Menge Geld gibt. Meistens hängen die beiden zusammen bzw. bedingen einander. Keine Ahnung, wie das Leben läuft mit Geld und Fachkräften. Ich spreche hier von wimmelnden Massen. Sie wimmeln, weil das Leben ohne Geld und Fachkräfte hektisch und anstrengend ist. Ich treffe immer noch Leute aus verschiedenen Milieus und mit unterschiedlichen Einkommensverhältnissen, aber so gut wie niemand mehr, der oder die Zeit hat. Gehe selbst mit getriebenem Beispiel voran.

Nicht, dass soviel bei rumkäme. Ich schreibe viel – aber nur selten Blog, weil meine Bücher fertigwerden sollen: ein Roman und ein Sachbuch, das Letztere geht umständehalber grad vor. Und ich musiziere – schon seit Langem. Mit der Musik hat es eine witzige Entwicklung genommen die letzten 20 Jahre. Du brauchst eigentlich niemanden mehr. Es gibt Software für alles: vom „virtual drummer“ über „virtual guitarist“ und „virtual bassist“ bis hin zu superhyper-gesampelten Feen-und-Elfen-Gesängen (wer’s mag), oder Maschinchen, die zu deinen Grunzvocals einen sechsstimmigen Chor in Echtzeit generieren, der fast klingt wie ein sechsstimmiger Chor – zumindest, wenn der Lärm drunter gut genug bumpert und das Publikum besoffen, geblendet oder beides ist. (Hologramme der singenden Personen wären noch ganz gut, für die Live-Performance, mit frei programmierbarem In- und Outfit. Kommt bestimmt bald.) Die Keyboards daddeln schon Jahrzehnte länger auf Knopfdruck ganze Arrangements ab in jedem anklickbaren Style und Genre. Das einzige, was noch fehlt, ist das „virtual audience“ mit zuschaltbaren „virtual standing ovations“ (vielleicht noch animierten Schlüppern, die hochaufgelöst auf die virtual stage fliegen). Die Presserezensionen verfasst du eh schon lang selbst vor, schließlich sollten – Qualitätsjournalismus und so! – Konzerte nur von jemand rezensiert werden, der persönlich dort war. 😉 Ratet, in wessen Hand die Vermarktung liegt, die Werbung, das Klinkenputzen sprich fernmündliche Belätschern beliebiger desinteressierter „Mulitplikatoren“, denen (noch im hintersten Kuhkaff) wöchentlich Abertausende Demos um die Backe fliegen, von denen jedes einen „unverwechselbar eigenen“ Stil pflegt, der ebenso „authentisch“ wie „innovativ“ und „neu“ ist. Made by… Alsöba!

Als Autor*in brauchste jetzt keinen Verlag mehr. Endlich kannst du dich eigenhändig (und lernbegeistert – das Leben bleibt schillernd) auch um Satz, Layout, Cover und Klappentext kümmern – von der Entwicklung der schwiemeligen, eher von Begeisterung als von Qualität triefenden Rohfassung bis zum knackig lesbaren Inhalt ganz zu schwelgen. Letzteres war mal die Aufgabe von Lektoraten. Ich, von gewandter Weltfremdheit wie immer, staunte nicht schlecht, als mir ein befreundeter Wiener Ex-Verleger angesichts meines ersten Romanmanuskripts verriet, dass Lektorate, so wie ich sie mir vorstellte, „seit über 30 Jahren“ nicht mehr existieren – genauer gesagt: inzwischen mehrheitlich zusammengedampft wurden auf Abteilüngchen, in denen dir vielleicht noch die Rechtschreibung korrigiert wird, aber nichtmal mehr dein Lieblingskapitel gekürzt, wenn’s eng wird. Publikum, Leserinnenschaft? Darfste – nein, musste – dir schon selber aufbauen. Öffentliche Lesungen organisieren? Hast doch dein eigenes Telefon, benutze es! Der Verlag ist nur zum Verdienen da. Falls er eine zweite Auflage deines Buchs druckt, verdienst auch du ein bisschen was am Verkauf. Falls! Aber nicht mein Problem. Ich kann ja direkt publizieren. Alsöba sei Dank. Vom Bildschirm weg an diejenigen, die es, äh, ja – öhm – lesen sollten oder zumindest könnten, wenn sie, äh, etwas davon erführen. Was sie interessieren könnte. Ratet, wer das Marketing…

Kürzlich kaufte ich mir eine Tablette. Keine Droge (zumindest war sie nicht so ausgezeichnet), sondern ein Tablett – also so einen Bildschirm für unterwegs zum Draufrumwischen. Wische auch ganz begeistert. Tippen geht mit zusätzlicher Tastatur (ohne solche bin ich ja nur ein halber Mensch – zumindest, wenn ich allein bin und gerade nicht onaniere im biologischen Sinn des Wortes). Gestern nacht jäher Schreck: Obwohl ans Stromnetz gestöpselt, vermeldete der Akku seinen Zustand als „wird nicht geladen“. Mit einem anderen USB-Kabel ging’s dann wieder. (Das defekte ist noch keine vier Wochen alt – und ich habe nicht daran herumgenagt, isch schwör‘!) Trotzdem die bange Unsicherheit: Lag’s vielleicht doch bereits an der Buchse – irgendwas innerhalb des Geräts? Wer hilft mir, wenn da was kaputt geht? Alle verkaufen dir alles, aber sie lassen dich allein damit.

Jüngst war mein Haushalt über zwei Wochen lang offline – der Router war kaputt, und dank mehrfach ebenso versprochener wie unterlassener Hilfeleistung der Telekom (wobei ich bei der schon lang nicht mehr Kunde bin – eher züchtete ich Brieftauben, als dahin zurückzuwollen) brauchte der Provider ewig, das kaputte Teil endlich auszutauschen. Ihr werdet das kennen: diese achselzuckenden Beschwichtigungen von Kundendiensten, deren Gähnen die frische Erinnerung an stundenlange Warteschleifentortur überhallt – da könne „man nichts machen“, nur warten. Machen wir ja schon dauernd. Alsöba. Gäbe es bessere Provider ohne 2jährige Abo-Knebelverträge, aus denen bestenfalls hauptberufliche Jurakundige herausfinden – wir wären alle dort, ich wette was.
Ich kenne einen manischen Handwerker, der mir gern erzählt, genau darum habe er sich kundig gemacht über all diese technischen Finessen, und dem traue ich auch zu, dass der auf einer einsamen Insel eine improvisierte Bambushütte internetfähig macht mit etwas Draht und Alufolie oder so. Aber der verschwendet seine kostbare Tages- und Nachtzeit nicht mit stundenlangem Gitarrespielen, Basszupfen, Singen, Versetexten, Songschreiben oder gar kopfspaltendem Wahnsinn wie dem, umfangreich erfundene Geschichten in Satzfolgen zu komprimieren, deren Spannungsbögen über mehrere hundert Druckseiten reichen sollen.

Vor Jahren gab ich mal ein kleines Interview für den „Focus“ und wunderte mich, wieso der Fotograf dazu eine halbe Lightshow in meiner Wohnung aufstellte, deren Farbvielfalt mich befremdlich an Kellerbars der 70er Jahre erinnerte, in die es mich nichtmal in meiner einsamen Jugend hinverschlagen hatte. „Der redaktionelle Teil muss bunter sein als die Werbeanzeigen daneben,“ erklärte der Fotograf – und erzählte mir noch, dass zu seinem Job auch die ständige wie stattliche Investition gehörte, sein teures Equipment auf jeweils neuestem Stand zu halten. Auf eigenes Risiko natürlich. Alsöba. Auf Facebook fand ich neulich einen Spruch, der zu wahr war, um mich ernstlich zu erheitern: MusikerIn ist, wer mit Instrumenten und Geräten für fünftausend Euro in einem Auto, das fünfhundert Euro gekostet hat, tausend Kilometer weit fährt für einen 50-Euro-Gig.

Von der wunderbar wahlfreien Möglichkeit, alles selber machen zu wollen, weil wir es müssen (weil – was wollen wir machen?), scheint eine einzige Tätigkeit ausgenommen zu sein: selber Denken. Es ist nicht direkt verboten – wird aber dennoch bestraft, und zwar mit Ausschluss jeglicher Aufmerksamkeit aus dem Massenstrom. Viele meiner historischen Idole gemahnen mich zwar daran, dass das früher auch nicht besser gewesen sein mag – vielfältig anders sicherlich, aber insgesamt keineswegs leichter. (Man braucht nicht gleich des armen van Goghs Selbstverstümmelung zu bemühen und dass ein solches Genie versuchte, seine Miete mangels Barem mit selbstgemalten Bildern zu begleichen – während der Vermieter die sperrigen Meisterwerke seufzend in seinem Stall stapelte, weil er nicht wusste, wohin mit dem Krempel. Der Astronom und Astrologe Johannes Kepler latschte, weil er nicht gut zu Pferd war, zu Fuß von Innsbruck nach Prag und berechnete dabei noch die Planetenlauf-Ellipsen. Er hatte keinen Taschenrechner, dafür einen nicht enden wollenden Krieg in fühlbarerer Leibesnähe als wir hier die heutigen.) Allein die Popkultur des späteren 20. Jahrhunderts schien eine gefühlte Ära lang die Verkrustungen weltweit und exemplarisch aufzubrechen. Lieder mit lebensrelevanten Aussagen – über „die Liebe“ hinaus: also auch gesellschaftliche Ansprüche und Zustände besingend – bringen heute gerade noch mal diejenigen KünstlerInnen in die Öffentlichkeit, die berühmt wurden, bevor sich die Schlinge wieder enger zog und den Mainstream auf belangloses Gesäusel reduzierte. Wir leben in einer freien Welt: Du darfst alles sagen und singen, es darf nur keine Bedeutung haben.

Das letzte Fernsehteam, das mich bei etwas Skurrilem filmen wollte, sagte ab, als ich den bereits ausgehandelten Event als Performance in eine öffentliche Galerie verlegte: Als privaten Freak hätten sie mich jederzeit TV-Publikum vorgeführt – als künstlerische Veranstaltung war die Sache plötzlich uninteressant.

„Barbarei herrscht, wenn Stumpfsinn öffentlich und die Kultur privat ist.“
(Gerhard Amanshauser)

Die Brüsseler Bürokratie bevorschriftet den Krümmungsgrad von Gurken, während Schweineborstenextrakt zur Fluffigmachung von Brotteig nichtmal einer Kennzeichnung bedarf (selbst die Bahn bremst, wie ich kürzlich las, mit Schmiere, die irgendwas Schweinernes enthalten soll. Das ist Industrie total: Du weißt nie, wo was herkommt und was alles drin ist. Gilt besonders für so genannte Lebensmittel). Die Regierung verbietet Personen das Rauchen in öffentlichen Gebäuden, aber lässt Banken und Konzerne willkürlich die Wirtschaft ruinieren auf Kosten der Allgemeinheit – deren Mehrheit verblödet genug ist, dieselben Arschlöcher wieder und wieder in Ämter zu wählen, wo sie Bananenrepublik spielen können und das auch tun, weil die Folgen ja wir tragen. Während der Klimawandel noch irgendwie zur internationalen Debatte steht (die in Taten umgesetzten Beschlüsse solcher halfen vor Jahrzehnten immerhin das Ozonloch einzudämmen), wird die flächendeckende und lückenlose Überwachung ganzer Bevölkerungen durch fremde und eigene Geheimdienstmafia hingenommen wie die aktuelle Farbe des Tageshimmels. Karma nix machen?

Yo: Spätestens bei sowas hilft das konsumistische Heilsversprechen von „Alsöba“ nichts. Wir wissen nicht, wie Angelegenheiten, die uns alle angehen, wahr- und in Angriff zu nehmen wären, nicht wahr?

Während der Staat noch demokratische Strukturen aufweist (ähnlich eines allmählich zur Ruine verkommenden Hauses, das nicht mehr gepflegt wird), gerät der Geist, der sie erarbeitete, zunehmend außer Sicht. Die ihn nicht vermissen, beraten derzeit darüber, wie amerikanische Konzerne am besten europäische Staaten verklagen dürfen, wenn bisherige Gesetze die Einfuhr von irgendwelchem toxischen Mist erschweren. Darf ich im Gegenzug dafür demnächst Konzerne auf Einkommensausfall verklagen, weil mir deren Markt- und Medienübermacht erschwert, genug Platten und Bücher zu verkaufen, um von meiner Arbeit leben zu können?

Was machen wir? Weiter. Alsöba? Nicht nur. Die Betonung darf auf „wir“ liegen. Und das Denken? Hat mit Pinkeln und Sterben was gemeinsam. Es kann dir niemand abnehmen. Im Unterschied zu letzteren beiden Tätigkeiten wird dich nichts zu ersterer zwingen. Aber wir können uns austauschen darüber.

zzl (zuviel zu lesen 😉 ): Alles allein und in Eigenregie zu machen, löst weder Probleme noch macht es glücklich.

2 Reaktionen zu “Alsöba!”

  1. Gaga Nielsen

    jetzt habe ich drei mal begonnen, einen Kommentar zu schreiben. Und immer schien er mir zu distanzlos, zu sehr ans Eingemachte geraten. Obwohl jeder anders anfing. So schreibe ich dir in der vierten Version – ich habe diese vielen Worte gelesen. Und denke dabei an – – – was im ersten Kommenarentwurf eine Rolle spielte – Vernetzung, jenseits des Netzes. Und an etwas aus dem zweiten Entwurf, es hat mit Haltung zu tun. Wie man der Welt gegenüber tritt. Mit welcher Projektion seiner selbst man jongliert, wenn man den Beamer anwirft. Ganz viel geht mir da durch den Kopf. Und sehr bin ich immer versucht, dahin zu schauen, wo etwas funktioniert. Warum es das tut. Und wo die Schlüsselmomente der Dramturgie sind.

  2. Ute

    Da guck ich mal so zur guten Nacht hier herein und finde wieder eine Textwelle, die mich um- und hinreißt! Was das „Alsöba“ angeht: zu meinem Glück kenn´ ich Mitmenschen (und noch viel besser: die kennen mich auch! ;-)), mit denen das überkreuz geht, also im Prinzip „ich tu für dich und du für mich“. Was ich dringend brauche, so als grundlegendes Füreinander, und auch bewusst innerlich kultiviere, als Pufferzone gegen die Zeit und ihre offiziellen Läufte. Das ist ja nicht mehr aushaltbar! Jedenfalls, da bin ich wohl auf einer ähnlichen Spur wie meine unbekannte Vor-Schreiberin Gaga… und nebenbei habe ich den durchaus wohltuenden Verdacht, dass noch mehr Menschen auf einer solchen sind. Und so schaut quasi ein Auge auf das immer extremer Dysfunktionale in der Welt, die sich mir ungewünscht aufdrängt, aber das andere liebend auf das Weltchen, das ich selbst mitkultivieren kann, in dem ich mich zuhaus und als Teil des Ganzen fühle. Seltsamerweise habe ich festgestellt, dass, je krasser die Zeiten, umso wärmer und freundlicher viele Menschen werden. So eine gefühlte Gegenbewegung… Für mich ist das wie ein Rettungsring, der mich trägt, damit ich im brodelnden Irrsinn der absterbenden „Leistungsgesellschaft“ nicht untergehe. Und es ist mein Luxus, noch oder wieder überhaupt empfänglich zu sein für die immer gültige, immer wertvolle Währung: echtes Lächeln, echte Herzlichkeit und Blicke in Augen, in denen tatsächlich ein Mensch ist, kein Konsument.
    Danke an Gaga übrigens speziell für „die Schlüsselmomente der Dramaturgie“ – da werde ich mal nachforschen :-). Seid gegrüßt und fühlt euch umarmt, beide!

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