Eibensang

Visionssuche

Ich gehe mal wieder auf Visionssuche: diesmal nur ins Basislager. Als Helfer. Meine erste und letzte – als Sucher – hatte ich vor sechs Jahren. Damals ließ ich mich auf einen Platz „pflanzen“, ein symbolisch auf wenige Quadratmeter eingegrenztes Areal unter freiem Himmel, das ich vier Nächte und Tage lang nicht mehr verließ. Es gab nichts zu essen und (für mich als anerkanntes Weichei) nur wenige Schluck schalen Wassers zu trinken (die Echten, die Harten – machen das ganz ohne) – das gehörte zum Prozedere. Das Alleinsein und „nichts zu tun zu haben“ war das Wenigste.

Der Ritus stammt aus uramerikanischen Traditionen, meine Schwester erlernte die aus erster Hand, zog das jahrelang immer wieder durch: erst vier, dann sieben, dann neun, am Ende gar dreizehn Nächte – hungernd, dürstend, meditierend. Sie bekam eine Heilige Pfeife dafür und jede Menge Erkenntnisse. Mein Ding – wie oben erwähnter Selbstversuch ergab – war’s nicht so. So sehr ich das alles schätze, was die Nachkommen uramerikanischer Kulturen für sich (und teilweise auch für interessierte Ausländer wie unsereiner) zu bewahren wussten – ich bin einer, der sich, wie ich einmal mehr erfuhr, seine Riten selber schnitzen muss: um die erforderlichen Prozesse freizusetzen. Die „indianischen“ Muster griffen nicht bei mir: Ich haderte schon mit dem Binden und Auffädeln von 365 „Gebetsbeutelchen“ im Vorfeld – und hätte den Kram, als er sich flugs verhedderte, am liebsten gleich in die Donau geschmissen, an deren Ufer ich diese Vorbereitungen mehr zähneknirschend als erwartungsvoll anging… Egal – eine interessante Erfahrung ist es doch geworden, auch wenn sie vornehmlich aus sinnlichen Bestätigungen dessen bestand, was ich mir vorher schon gedacht hatte. Ich hatte null Probleme mit der Einsamkeit, dito mit dem Nichtstun – der Hunger machte mich schwach, aber um in Tuchfühlung mit meinen Großen zu kommen und zu bleiben, brauche ich sowas nicht. Die sind eh immer da! Stattdessen träumte ich das erste und einzige Mal in meinem Leben von McDonalds-Frittentüten. Ich, der Gourmet! Zurück von meiner Visionssuche enterte ich das erste bessere italienische Resto und feierte – sehr glücklich und entspannt – einen „Tag des guten Essens“: mit mediterranen Köstlichkeiten auf angewärmten Tellern, und so erleuchtet, äh, erleichtert war ich, dass ich nichtmal das weiße Tischtuch mit Chianti bekleckerte.

Wohlgemerkt: Ich kenne Entbehrungen, ich scheue sie nicht. Für einen Zivi’sierten, der zunächst eine erfolglos abgeschlossene Kindheit als (allzu behütetes) Wirtschaftswunderkind absolvierte, habe ich spätestens ab Ausbruch meiner blindwütig durchtobten Jugend mehr gehungert und gefroren als (glaube ich) die meisten meiner biederen Generation. Noch heute kann ich mich – lächelnd und notlos – an einem Kanten harter Brotkruste erfreuen (Senf ist dann der Luxus: aber nur, wenn er scharf ist) – und klares kaltes Wasser rangiert bei mir gleich nach Wein und Met (und oft sogar an erster Stelle: zumindest, wenn ich allein bin). Als neu geborener Heide stieg ich mit 33 Jahren nackt und klopfenden Herzens in die Steinzeit hinunter, erlebte, mit nichts als meinen Körpersäften bewaffnet, erstaunliche Abenteuer (halluzinogen, aber drogenfrei)… schlief seitdem oft in Höhlen (permanent 7 Grad plus inside: auch zu Weihnachten, wenn’s stürmt und schneit); küsste die Borke von Bäumen, ließ mir Ackerkrume auf der Zunge zergehen: Wie schmeckt dieses Land und wie jener Boden jener Region? Ich kam herum im Land. Wind und Wetter wurden mir Freunde, und selbst mit der Kälte machte ich manchen Handshake-Deal – dies oft im Lendenschurz. Und noch jede Zivili-City durchschreite ich offenen Fußes, in Sandalen von Frühling bis Spätherbst. Vor ein paar Jahren schenkte mir eine liebe alte Freundin eine Zahnversicherung zum Geburtstag – die einzige sonstige Sicherheit, die ich habe, ist mein Vertrauen ans Schicksal. Ich bin in der Künstlersozialkasse und damit immerhin krankenversichert – die Rente, die ich bekommen werde, reicht für den einmaligen Kauf einer Festplatte, aber nichtmal für die geringe Miete, die ich derzeit im Haus meiner Schwester zahle. Ich habe kein Auto (da keinen Führerschein), keinen Fernseher und keine Angst mehr. Es wird schon alles werden – und falls nicht, kann ich mich immer noch von der Brücke stürzen. Bis dahin genieße ich das Leben in vollen Zügen (nicht nur denen der Bahn 😉 ).

Ich kokettiere nicht mit Armut: Gourmet, wie gesagt. Ich schätze trockenen Wein, exquisites Essen (bis hin zu ganz einfachem: die Exquisitesse par excellance, sozusagen 😉 ), gute Gesellschaft und ekstatischen Sex (das Wort klingt mir schon fast zu hohl und kalt für das, was ich damit verbinde. Es ist immer voller Liebe, warm und träumerisch, feucht und wunderbar). Musik rührt mich schnell zu Euphorien, die in Tränen baden. Laut singe ich mein Lied (auch wenn ich immer neue schreibe, bleibt es irgendwie immer dasselbe), rede schnell und viel – aber lieber Philosophisches als Treppenhaustratsch (denn die Gedanken müssen raus: und hecheln nach Austausch auf Augenhöhe), kann stundenlang einhändig Rahmentrommel schlagen, ohne aus dem Takt zu kommen, und kann mit Kindern wenig mehr anfangen als sie ernstzunehmen: Ich war selber eins, das kann ich nicht vergessen. Ich weiß noch, wie das war.

Visionssuche. Mein Wohngenosse und Freund Ragnar, dem ich gern das eine oder andere Denkmal setzen würde, lässt sich pflanzen. Ein Kumpel von ihm dazu, und dessen Frau. Ich im Basislager: zusammen mit Schwesterherz und Initiatorin Venayra und zwei weiteren Männern, von denen ich den einen länger, keinen aber wirklich gut kenne. Beiden freilich vertraue… Vertrauen ist immer etwas, was du gibst. Als Investition ohne Rückversicherung. Letzteres – das „mit ohne“ – ist der heilige Trick. Was tut das Basislager? Es tutet in Rufhörner zu Sonnenauf- und Untergang jeweils, singt Chants und Lieder. Und futtert sich die Hucke voll. Wir geben den Sucherinnen Kraft. So ist das gedacht. Fühle mich auf dieser Seite wohler und nützlicher als auf der anderen… Zumal es mir gut tun wird, mal wieder eine Woche unter freiem Himmel zu verbringen. Heiliges Feuer gilt es zu hüten, das, schichtweise bewacht, ab der Eingangsschwitzhütte weiterbrennen muss von Montag bis Samstag: jede Sekunde. Aus der Asche der niedergebrannten Hölzer formen wir allmorgendlich Zeichen: Ich soll sie in Runen übersetzen. Na gut – in Runen denke ich eh. Thorstens Horn kann ich sogar tuten – ein bissi. Bin sonst kein Bläser (außer auf der Blues Harp – aber die ist hier nicht gefragt). Freue mich auf Sonne und Regen, auf den Geruch des Waldes, der (sinnlich so erfühlbaren) Wildnis, der freien Luft.

Ragnar, mein Freund, der Visionssucher, ist in mancher Hinsicht ein Gegenteil von mir: generationentief verwurzelt in seiner Heimatregion, klassisch männlich bis ins Mark und in die Pore, Familienvatermensch, praktisch begabt und geschult in tausend nützlichen Dingen und Fertigkeiten, fleißiger Geschäftsmann mit ehrlich verdienten Umsätzen, augenzwinkernder aber schwitzender Workaholic – und ein Ehrenmann, wie ich vorher noch keinen traf, beim Thor! Wollte er König werden – ich bewürbe mich als sein Herold, auf Gedeih und Verderb. Denn ihm fehlt jede Arroganz. So bin ich sein Krieger – ihm das beschaffen zu helfen, wozu ich vielleicht gut bin: ich wurzelloser Hallodrio, ich fliegender Träumer und allezeit hart fallender Phantast, ich sozialqueerer Lesbiero, der zum Blumenblatt greift statt zum Geldschein schon der Farbe wegen (oder isses noch was anderes?), um sich an Worten wieder hochzuranken, die ich Satz für Satz als Efeu in die Zaunlöcher der Reservierten stoße: auf dass etwas blühe, wo vorher nur Ratio gähnte – es an Hoffnung gebrach… hinter den Messbarkeiten. In deren vermeintliche Unerbittlichkeiten ich meinen Zauber säe! Sie sind mein Humus! Jedes Traumes Nährboden!

Erfahrungshalber hänge ich dem Glauben an, dass sich Gegensätze beflügeln. Was mir diese Visionssuche – mehr als meine eigene als einstiger „Sucher“ – zum heiligen Akt macht. Da, wo die Macht der erlernten Gewohnheit aufhört, fängt meine an. Ragnar: Ich werde jeden Bissen jeden Essens, das wir kochen, so kauen, dass er deinen Geist und deine Seele erreicht – und stärkt. Ich werde jeden Schmerz von dir so spüren wie meine eigenen, selbst erlebten – die vergangenen wie die vergessenen. Ich werde mich mit deiner Not verbinden – deine Haut wird meine sein in dem Moment, den Momenten – deine Galle meine, meine Leber deine. Ich gebe dir, was ich erfuhr: all die Not, all die Kraft, und vice versa. Du hast mir einen Zipfel, ein Zwinkern deiner Seele gezeigt – einen Zugang zu deinem Ich, deinem Du. Da dock ich an. Da bin ich groß, das kann ich gut – besser als putzen oder werkeln oder Sichtbares vollbringen. Ich halte dich, Freund – und sei es gegen die Römer, oder was sonst für diese (von dir wohlverstandene) Metapher steht. Ich blute für dich. Der Hunger ist austauschbar. Ich hatte welchen, ich weiß, was das heißt – nicht erst seit meinem (etwas anders geratenen) Visionssuche-Experiment. Ich zieh deine Fahne hoch. Spreche zu den Kriegern – hole sie alle zurück. Von den Toten, aus dem Vergessen. Dein Schmerz ist meiner – ich gleiche die Parameter an. Halte dein Herz. Schau mir in die Augen, oder der Milchstraße, oder der Nacht – dem Wind, wenn du magst. Wenn du da oben oder unten auf deinem gepflanzten Platz lauschst – wir sind verbunden. Ich esse Kartoffeln und Fleisch für dich. Meine Rippe für deine. Erweis‘ mir die Ehre. Du hast einen Krieg zu gewinnen? Ich hol die Krieger. Ich bin der Rufer. Dein Herold. Du sei König!

Der richtige Platz, der rechte Moment. Alles, woran du je glaubtest, wird auferstehen. Aber alles wird neu sein. Hier: in der Gegenwart. Im tatsächlichen Leben. Kein einziges Problem wird gelöst dadurch. Aber alle, alle werden wir lösen: damit, und ab dann. Mit der Kraft, die wir da empfangen. Mit der Gewissheit, die wir austauschen dürfen. Ich kenn das Theater, die Kulisse, das Leben. Ich bin schon lange hier. Anders als du: verwurzelt in Untiefen und Abgründen. Der Fall ist mein Fall. Ich kenne die Tricks und die Auswege. Fall mir entgegen. Ich fange dich auf. Trag dich empor aus der Tiefe, die meine Kinderstube war und ist. Und wenn wir wieder oben sind, erzähl mir wieder, wann du wie welches Obst erntest. Dann stehe ich neben dir, Ragnar, und lächle. Wie immer. Und wenn die Zivi’sation um uns zerfällt, sind wir ein Team. Notfalls nur König und Herold. Mal schauen, ob die Deppen von nebenan wirklich Armeen aufbringen. Man hat schon Pferde kotzen sehen. Oder germanische Barbaren ein (damals wie heute eigentümlich marodes) Weltreich übernehmen – und Weltgeschichte machen. A bisserl. Wie die Eingeborenen meines verflossenen Lieblingslandes das sagen täten. Alles in Hand der Nornen. Oder auch nur Noreia’s. Bin nur ein Helfer. Oder Nachhelfer. Auf eine gute Woche, Freund! 😉

Meine erste Vision hatte ich übrigens nicht auf einer Suche, sondern ganz unvermittelt als 15jähriger auf einer Parkbank. Das Erschaute und Gefühlte wurde mir Lebensleitbild, ich machte es wahr, setzte es um, gegen alle Widerstände, mit allen Konsequenzen. Und allen Veränderungen. Erst jetzt Vergangenheit!

3 Reaktionen zu “Visionssuche”

  1. Anufa

    Auf dass die Großen Großes und Kleines bringen mögen, Hohes und Tiefes – das Alles aus dem Nichts

  2. Rumbi

    Ich drücke dich an mein Herz,
    Dukischer Duke.

  3. Peti Songcatcher

    Heya Duke, das ist ganz wunderbar – und herz-ergreifend – geschrieben. Danke für’s Teilen und Berühren. Werde bei Euch sein, in Gedanken, mit einem Lied aus meinem GartenZauberKreis, am Morgen und am Abend. Gesegnet sei’s.

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